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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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erkennen, wie der Zusammenhang der Wörter in ihren Köpfen wirklich beschaffen ist.<br />

Dies sei an einigen Beispielen vorgeführt.<br />

Zu den klassischen Beispielen von Volksetymologie gehört die Anlehnung des<br />

griechischen, besonders durch Sigmund Freud popularisierten Wortes Trauma an<br />

Traum. So steht es beispielsweise im „Deutschen Wörterbuch“ von Hermann Paul (9.<br />

Aufl. 1992, S. 899), aber Augst scheint davon nichts zu wissen. Und doch ist es ganz<br />

leicht, den Zusammenhang in konkreten Texten nachzuweisen, also ohne<br />

„Unterstellungen“. Es gibt nämlich zahllose Verwendungsbeispiele der folgenden Art:<br />

Da ist er, der Alptraum, das Trauma des Oppositionsführers (Frankfurter<br />

Allgemeine Zeitung 25. 10. 1978)<br />

die alptraumatische Szenerie (Frankfurter Allgemeine Zeitung 19. 7. 1985)<br />

Erwachen (!) aus dem Vietnam-Trauma (Süddeutsche Zeitung 2. 1. 1980)<br />

Unter Mund/Munt (,Schutzverhältnis‘), Vormund, Mündigkeit vermißt man bei Augst<br />

jeden Hinweis auf den Mund, an den viele Menschen denken, wenn sie die sonst<br />

isolierten Wörter aus dem germanischen Rechtsleben hören. Dabei führt Augst sogar<br />

den entsprechend umgestalteten Plural Vormünder an. Vgl.:<br />

Im Exil eignete er sich die Rolle eines Vor-Mundes an, der für andere spricht ...<br />

(Hansers Sozialgesch. der dt. Literatur. Bd. 11, München 1983, S. 366; zur<br />

Deutung von vor- als für- vgl. W. Pfeifer s. v. Vormund)<br />

Mündigkeit aber bedeutet zunächst ganz wörtlich, daß einer seinen Mund auftut,<br />

nicht daß er schweigend konsumiert. (Das Parlament 1. 1. 1985)<br />

Daß irritieren vielfach im Sinne von irremachen gedeutet wird, braucht nicht durch die<br />

stets bedenkliche Informantenbefragung festgestellt zu werden:<br />

Nicht ausgeschlossen werden kann, daß durch homosexuelle Handlungen in<br />

früherem Alter Jugendliche in der Findung ihrer Geschlechtsrolle irritiert<br />

werden. (Der Spiegel 20. 7. 1981)<br />

Angesichts der großen Ankündigungen eines völlig neuen Konzepts fällt immer wieder<br />

auf, wie viele mögliche und sogar nachweisbare subjektive Zusammenhänge nicht<br />

aufgeführt sind. Das Neue verschwindet buchstäblich in der ungeheuren Masse des<br />

Bekannten und lediglich Abgeschriebenen. Sollte kein Informant Rebhuhn zu Rebe<br />

gestellt haben? Die Anlehnung, längst wörterbuchkundig, hat regional sogar zu<br />

verlängerter Aussprache des e geführt.<br />

Wenn man Sprecher mit der Anforderung konfrontiert, Wortzusammenhänge<br />

festzustellen, kommen sie auf Gedanken, die sie sich vorher noch nie gemacht haben,<br />

und konstruieren ad hoc etwas, was bisher in ihrem Sprachbesitz überhaupt nicht<br />

vorhanden war. Ein gutes Beispiel ist die feministische Linguistik, die einigen Wörtern<br />

und grammatischen Neutralisationserscheinungen gewissermaßen ihre Unschuld<br />

genommen hat. Augst greift dieses Thema seltsamerweise gar nicht auf. Was ihm hier<br />

entgeht, läßt sich am Eintrag dämlich zeigen. Es bedurfte nicht erst der feministischen<br />

Diskussion, um den trügerischen Bezug auf Dame zu allerlei dummen Späßen zu<br />

nutzen („Herren sind herrlich, Damen dämlich“ usw.). In der Tat kann der Laie, wenn<br />

er denn unbedingt eine Motivation für dämlich suchen muß, auf nichts anderes als<br />

Dame kommen. Augst hat jedoch unter keinem der beiden Stichwörter einen<br />

entsprechenden Hinweis.<br />

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