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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Selbstverständlichkeit. Den Schülern ist damit wirklich nicht geholfen. Man sollte sie<br />

geradezu davor warnen, die ZEIT zu lesen.<br />

Es geht offenbar längst bloß noch darum, die Verluste der Verlage in Grenzen zu<br />

halten. Übrigens hat weder die ZEIT noch eine andere Zeitung je die Kosten (vor allem<br />

durch Steuerausfälle) zu recherchieren versucht.<br />

Wenn die Bürger in Schleswig-Holstein und vielleicht noch anderswo in vorbildlich<br />

demokratischer Weise entscheiden, daß sie bei der allgemein üblichen Orthographie<br />

bleiben wollen, sehe ich nicht, wie man das als Rückmarsch in die Kleinstaaterei<br />

lächerlich machen kann. Rückschrittlich ist nachweisbar die Reformschreibung: Das<br />

„Heysesche“ ss war von der vielgerühmten Zweiten Orthographischen Konferenz vor<br />

hundert Jahren endgültig abgeschafft worden, die bereits erwähnte Großschreibung<br />

(des Öfteren usw.) galt schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts als „übertrieben“<br />

und wurde durch die intelligentere Kleinschreibung zurückgedrängt, und die vermehrte<br />

Getrenntschreibung ist achtzehntes Jahrhundert. Dies abzulehnen, ist nicht provinziell,<br />

sondern fortschrittlich. Ins neunzehnte Jahrhundert führt gerade auch die Entwicklung<br />

von Hausorthographien zurück, die man nach hundert Jahren gut funktionierender und<br />

hinreichend anpassungsfähiger Einheitsorthographie nicht mehr für nötig und möglich<br />

gehalten hätte. Übrigens haben die Schleswig-Holsteiner stellvertretend abgestimmt,<br />

weil man sich auf das Wort der Kultusminister verlassen hatte, daß ein Reformstopp in<br />

einem Bundesland genüge, um die Reform ganz zu beenden. Die „Neue Zürcher<br />

Zeitung“ hat die Selbstverständlichkeit ausgesprochen, daß ganz Deutschland ebenso<br />

abstimmen würde, wenn es unter fairen Bedingungen dazu käme. Aber die deutschen<br />

Zeitungsschreiber hatten mit ganz wenigen Ausnahmen nichts Eiligeres zu tun, als über<br />

diesen seltenen Fall einer gelungenen basisdemokratischen Notwehr gegen staatlichen<br />

Übermut zu spotten.<br />

In die Chronik hätten wohl auch noch aufgenommen werden können: die Ablehnung<br />

der Reform durch den Haushaltsausschuß des Bundestags, die Ablehnung durch den<br />

Rechtsausschuß (nach öffentlicher Anhörung) und die Ablehnung durch das Plenum<br />

des Bundestags (26.3.1998). Daß beide Bundesregierungen sich darüber<br />

hinwegsetzten, macht diese Voten nicht ungeschehen.<br />

Von der ganzen Reform wird wohl nur das ss bleiben, übrigens eine berüchtigte neue<br />

Fehlerquelle. Die Schüler <strong>schreiben</strong> jetzt ständig heisst usw., auch die neue Ausgabe<br />

der ZEIT führt es unfreiwillig vor. Und noch etwas bleibt: der Eindruck, daß die<br />

Kultusminister tun können, was sie wollen, und daß die Zeitungen kuschen. Oder<br />

mißverstehe ich das alles? Ist das ZEIT-Spezial am Ende bloß die Garnierung der<br />

Bertelsmann-Anzeige? In der übrigens ein Apostroph steht – „Ich verlass’ mich auf<br />

den Bertelsmann“ –, der laut Reformduden falsch ist; so viel zu Ihrer sinnigen<br />

Empfehlung, man solle sich in Zweifelsfällen an die Wörterbücher halten, die<br />

bekanntlich weder untereinander noch mit der amtlichen Regelung übereinstimmen!<br />

Allein vom Bertelsmannwörterbuch liegen elf Ausgaben in zwei Auflagen vor;<br />

zwischen der ersten und der bisher letzten gibt es Tausende von Abweichungen. Vom<br />

Duden ist eine neue Bearbeitung angekündigt, aber die bisher vertriebene hat uns<br />

zusammen mit ihren Derivaten bei Brockhaus und Langenscheidt etwa<br />

zehnmillionenmal „eingebläut“, wiedersehen werde jetzt getrennt geschrieben!<br />

Sie stellen die Rechtschreibreform als unabwendbares Schicksal dar. Hält man dies mit<br />

der eigenwilligen ZEIT-Schreibung zusammen, so soll dem Leser suggeriert werden,<br />

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