REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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orthographische Regeln und nicht 212. 51<br />
Im übrigen betrifft diese Zahl ebenso wie die Zahl 112 für das neue Regelwerk nur die<br />
Numerierung und nicht die wirkliche Anzahl der Regeln, die im Falle der<br />
Neuregelung weit über 1000 liegt (nach einer Untersuchung von Werner H. Veith).<br />
Ebenso unsinnig ist die Behauptung, 52 Kommaregeln seien auf 9 reduziert worden. In<br />
Wirklichkeit haben die neuen Kommaregeln den gleichen Umfang wie die alten (rund<br />
10 DIN-A4-Seiten), nur die Numerierung hat sich geändert. Ein besonders<br />
eindrucksvolles Beispiel dafür, wie man die Zahl der Paragraphen, nicht aber die Zahl<br />
der Regeln vermindert, ist wohl § 96: „Man setzt den Apostroph in drei Gruppen von<br />
Fällen.“ – eine Regel ohne jeden Gehalt, der vielmehr erst in den Unterregeln geboten<br />
wird.<br />
Prüfen wir die angebliche „Reduzierung“ der Regeln am Beispiel der Groß- und Kleinschreibung<br />
nach, so stellen wir fest, daß die Zahl der wirklich identifizierbaren Regeln<br />
sich zwischen Duden und Neuregelung von höchstens 82 auf 96 erhöht hat!<br />
2. Das Mogeldiktat<br />
Mit dem Argument, die Schüler bekämen aufgrund der Neuregelung bessere Noten,<br />
warb das bayerische Kultusministerium eine Zeitlang. Toni Schmid, der Pressesprecher<br />
des Ministeriums und einer der tatkräftigsten „Durchsetzer“ der Reform, schrieb<br />
folgendes:<br />
„Bei der Korrektur eines von 650 bayerischen Schülern geschriebenen Diktats<br />
nach den neuen Regeln war die Fehlerzahl um deutlich mehr als die Hälfte<br />
geringer als bei der Korrektur nach den bisherigen Regeln. Dem Rechtschreibgefühl<br />
junger Menschen scheint die neue Regelung entgegenzukommen.“ 52<br />
Darüber hatte eine Zeitung zuvor schon berichtet:<br />
„Ein Probe im letzten Schuljahr bei 700 bayerischen Schülern, die nicht über den<br />
Zusammenhang mit der neuen Rechtschreibung informiert waren, wurde doppelt<br />
korrigiert: einmal nach den neuen, einmal nach den alten Regeln. Das Ergebnis:<br />
eine um einen Grad bessere Durchschnittsnote bei der Korrektur nach den neuen<br />
Regeln.“ 53<br />
Das Probediktat, auf das sich die sensationelle Meldung und zahlreiche Verlautbarungen<br />
des bayerischen und anderer Kultusministerien beziehen, ist von dem Reformer<br />
Burkhard Schaeder verfaßt und war lange Zeit nur vom Hörensagen bekannt. Es hat<br />
folgenden Wortlaut:<br />
Ein Alptraum. Gestern nacht hatte ich einen schrecklichen Traum. Nach den<br />
Schularbeiten wollte ich radfahren, als plötzlich ein Riese vor mir im Zimmer<br />
stand. Er stellte zehn Becher Joghurt vor mir auf den Tisch und forderte mich<br />
auf, sie zu essen. Anschließend sollte ich die Becher numerieren und aufeinanderstapeln.<br />
Kaum hatte ich den ersten Becher ausgelöffelt, da standen zwanzig<br />
51 Die falschen Zahlen stehen schon in den „Informationen“ der KMK vom 1.12.1995,<br />
gehören also wohl zu den Voraussetzungen, von denen die Kultusminister bei ihrem<br />
Reformbeschluß ausgingen.<br />
52 Sage und Schreibe 162/1997, S. 23.<br />
53 AZ 9.10.1996.<br />
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