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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Wörterbücher und ein Vielfaches von umgestellter Literatur anderer Art von heute<br />

auf morgen unbrauchbar würden. 39 Die einschlägig tätigen Verlage versuchen dem<br />

begreiflicherweise entgegenzuwirken.<br />

Im Frühjahr 1997 wurde die verspätet einberufene zwischenstaatliche Rechtschreibkommission<br />

40 mit der Erarbeitung einer Liste von Zweifelsfällen beauftragt:<br />

„Die Kultusminister der Länder halten es im Interesse der Sache und aller<br />

Beteiligten für erforderlich, daß in möglichst kurzer Frist – am besten noch vor<br />

Beginn des neuen Schuljahres – durch die Kommission eine Liste<br />

unterschiedlicher Schreibungen, insbesondere im Bereich der Getrennt- und<br />

Zusammenschreibung und der Groß- und Kleinschreibung, vorgelegt wird,<br />

welche die notwendigen Entscheidungen auf der Grundlage der Neuregelung<br />

enthält.“ 41<br />

Der Vorsitzende der Rechtschreibkommission Augst verkündete in einem Interview mit<br />

dem „Rheinischen Merkur“ vom 30. Mai 1997, daß die Kommission die Zweifelsfälle<br />

„bis zum 1. August 1998 klären“ werde. Die Liste ist nie erschienen. Zwar wurden<br />

dann gewisse Korrekturvorschläge besonders zur Getrennt- und Zusammenschreibung<br />

tatsächlich ausgearbeitet, im Dezember 1997 vorgelegt und zum Gegenstand einer<br />

Anhörung im Januar 1998 gemacht. Aber die Geschwindigkeit, mit der die<br />

Kommission die angeblichen Resultate dieser Anhörung in ihren Entwurf einarbeitete<br />

(oder vielmehr nicht einarbeitete), deutet darauf hin, daß an eine wirkliche<br />

Berücksichtigung der Kritik nie gedacht war. Die Fundamente der Reform wollte man<br />

sich ohnehin nicht nehmen lassen. Dieter Nerius schrieb im Herbst 1997:<br />

„Ernsthafte, linguistisch begründete Kritik an der Neuregelung muß man<br />

ernsthaft prüfen und gegebenenfalls berücksichtigen, soweit sich das mit dem<br />

Gesamtkonzept der Reform vereinbaren läßt.“ 42<br />

Das ganze Reformunternehmen ist eben von Anfang an ausschließlich von unbedingt<br />

Reformwilligen betrieben worden; das „Gesamtkonzept“ ist und bleibt jeder Kritik<br />

entzogen. 43 In einem vorgedruckten Standardbrief, den die Rechtschreibkommission an<br />

Ratsuchende verschickt, heißt es:<br />

„Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass nach der Unterzeichnung der<br />

Gemeinsamen Erklärung in Wien weitere Änderungen vorerst grundsätzlich nicht<br />

mehr möglich sind.“<br />

39 Wie weiter unten gezeigt wird, ist dieser Fall inzwischen tatsächlich eingetreten.<br />

40 Eine solche Kommission war schon zehn Jahre zuvor ins Auge gefaßt worden. Sie wurde<br />

praktischerweise weitgehend mit den Reformern selbst besetzt, weil sie am besten<br />

geeignet seien, eine authentische Interpretation ihres Werkes zu leisten.<br />

41 KMK-Vorsitzender Wernstedt bei der konstituierenden Sitzung der Kommission am<br />

25.3.1997.<br />

42 Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 4/1997, S. 127; Hervorhebung<br />

hinzugefügt. Das grundlegende Werk der neueren deutschen Orthographieforschung<br />

stammt von Nerius und trägt den bezeichnenden Titel „Untersuchungen zu einer Reform<br />

der deutschen Orthographie“ (Berlin 1975). Ein großer Teil der Orthographieforschung<br />

wird seither unter dem Aspekt der Reform betrieben, deren Notwendigkeit als<br />

unumstößliche Prämisse gilt. Auch die „Kommission für Rechtschreibfragen“ beim IDS<br />

hieß noch 1976 „Kommission für Rechtschreibreform“.<br />

43 Auf die bedenkliche Art und Weise der Rekrutierung der Reformer weist Horst H.<br />

Munske in „Kunst & Kultur“ 1/1998 hin.<br />

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