REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Solche Einfälle dürfen keinem Regelverdikt zum Opfer fallen – getreu dem<br />
Motto Georg Christoph Lichtenbergs: „Der eine hat eine falsche Rechtschreibung<br />
und der andere eine rechte Falschschreibung.“<br />
Manfred Bissinger<br />
Chefredakteur<br />
Dazu nur wenige Anmerkungen: Mir sind mehrere Personen bekannt, die die „Woche“<br />
abbestellt haben, ohne Professoren an Pädagogischen Hochschulen zu sein. Die<br />
Leserinnen und Leser der „Woche“ sind auch gar nicht nach ihrer Zufriedenheit gefragt<br />
worden. Die Neuschreibung gibt sich nicht an Teeeiern zu erkennen, sondern an dass,<br />
und daß irgendein Leser (gar „die meisten“) es nicht einmal bemerkt haben sollte, ist<br />
eine geradezu beleidigende Unterstellung. Die Neuregelung enthält auch nach<br />
Bissinger „Ungereimtheiten“ und „Absurditäten“; dennoch glaubt er ihr folgen zu<br />
müssen. Die Folgsamkeit nimmt Formen der Devotion an: „Wir warten in Ruhe ab,<br />
was die gelehrten Herren der Rechtschreibkommission aus der Praxis für Lehren<br />
ziehen.“ Die F.A.Z. ist nicht zur Orthographie „des vorigen Jahrhunderts“<br />
zurückgekehrt – wie Bissinger mit demagogischer Absicht sagt –, denn das neue<br />
Jahrhundert begann erst am 1. Januar 2001. Im übrigen hatte die „Woche“ ja selbst<br />
noch kurz zuvor in der Orthographie des 20. Jahrhunderts geschrieben, gewiß zur<br />
vollen Zufriedenheit ihrer Leser. Es ist die Neuschreibung, die ins 19. Jahrhundert und<br />
noch weiter zurückführt. Die Schriftstellerbeschimpfung eint Bissinger mit den<br />
Kultusministern. Zwar hängt das Ableben der „Woche“ im März 2002 nicht<br />
unmittelbar mit der Reformschreibung zusammen, aber mit der hier zutage tretenden<br />
Arroganz hat es wohl doch zu tun.<br />
Am 1. August 1999 stellten fast alle deutschsprachigen Zeitungen ihre Orthographie<br />
um, auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Welt“, deren Redaktionen<br />
unermüdlich gegen die Neuregelung gekämpft hatten. Von den größeren Tageszeitungen<br />
widersetzte sich nur die „Presse“ (Wien). Unzählige Briefe an protestierende<br />
Leser wurden verschickt, etwa dieser Art:<br />
206<br />
„Sehr geehrter Herr ...,<br />
mit Ihrer Kritik an der Rechtschreibreform rennen Sie bei mir und meiner<br />
Redaktion offene Türen ein. Wir werden diese völlig überflüssige Reform in der<br />
Landeszeitung, wenn überhaupt, erst von Ende 1999 an umsetzen müssen. Denn<br />
zu diesem Zeitpunkt werden alle deutschsprachigen Nachrichten-Agenturen die<br />
neuen Regeln – leider – zur Anwendung bringen. Bis dahin wird auch die<br />
Landeszeitung bemüht sein, diesen Unsinn abzubiegen.<br />
Mit freundlichen Grüßen ...“<br />
„Sehr geehrter Herr ...,<br />
herzlichen Dank für Ihre Zuschrift und die Beispiele aus der OSTSEE-ZEITUNG<br />
zum leidigen Thema ,Rechtschreibreform‘. Ich teile Ihre Einschätzung zur<br />
Reform, leider kann ich dennoch Ihrer Empfehlung zur Beibehaltung der<br />
sprachlich oft klareren alten Schreibweise nicht folgen. Es geht einfach nicht,<br />
weil die deutschsprachigen Agenturen, deren Texte wir zu einem Teil drucken,<br />
sich für die neuen Schreibweisen entschieden haben. Es übersteigt unsere