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REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben

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Leider ist über all dem Suchen nach Kompromissen die erste und wichtigste Frage aus<br />

dem Blick geraten: Wozu brauchen wir denn überhaupt eine „Neuregelung der<br />

Orthographie“? Waren wir denn mit der bisherigen Orthographie (die nicht mit ihrer<br />

gelegentlich etwas spitzfindigen Darstellung im Duden verwechselt werden darf)<br />

unzufrieden? Wird der Leser von ihr nicht aufs hervorragendste bedient? Funktional, d.<br />

h. in Hinsicht auf die Bedürfnisse des Lesers, um dessentwillen alles Schreiben doch<br />

geübt wird, ist die gewachsene deutsche Orthographie nahezu unübertrefflich. Und<br />

was die Lernbarkeit betrifft, die allerdings immer erst in zweiter Linie in Betracht<br />

kommen kann, so ist keiner der alternativen Entwürfe, am wenigsten die amtliche<br />

Neuregelung, leichter, im Gegenteil, die unerhörten Schwierigkeiten der Neuregelung<br />

sind geradezu sprichwörtlich, und ihre funktionalen Schwächen sind ja auch der Grund<br />

dafür, daß nun die vielen Gegenentwürfe auf dem Tisch liegen.<br />

Die Akademie gibt also vor, von der Neuregelung auszugehen, läßt aber praktisch<br />

keinen Stein auf dem anderen. Sie bescheinigt den Reformern, sie hätten Hunderte von<br />

Wörtern aus dem deutschen Wortschatz entfernt, die es nun zu retten gelte. Eine<br />

schärfere Verurteilung der Reformer ist schwerlich vorstellbar. Lohnt es sich, mit<br />

Leuten zu verhandeln, gar Kompromisse anzustreben, die mit solcher Anmaßung und<br />

Inkompetenz an die Arbeit gegangen waren? Man sollte auch nicht einfach vergessen,<br />

daß die Reformer etwas ganz anderes gewollt hatten und immer noch wollen, nämlich<br />

die Kleinschreibung der Substantive, eine weitgehende Fremdworteindeutschung, die<br />

Einheitsschreibung das (auch für daß, neu dass) und die Tilgung der Dehnungszeichen<br />

(der al im bot usw.). Erst nachdem ihnen dies untersagt worden war, brachten sie 1994<br />

Hals über Kopf den nunmehr in Kraft getretenen, offenkundig unausgegorenen<br />

Entwurf hervor, über den alle unabhängigen Fachleute ebenso wie die betroffene<br />

Bevölkerung mit höhnischem Lachen hinweggegangen wären, hätten sich die<br />

Reformer nicht rechtzeitig mit der Staatsmacht verbunden, so daß es nun eine<br />

hochpolitische Angelegenheit geworden ist, mit den schnell geschaffenen vollendeten<br />

Tatsachen irgendwie fertig zu werden.<br />

Die Akademie macht sich die Strategie des Reformkritikers Peter Eisenberg zu eigen.<br />

Schon im Januar 1996, als noch gar nichts feststand, redete er den Lehrern ein, „jetzt“<br />

komme es darauf an, mit der leider nicht besonders gelungenen Reform zu leben (Die<br />

neue Rechtschreibung. Hannover 1996, S. 3). Während der Mannheimer Anhörung im<br />

Januar 1998 malte er eine nicht näher ausgeführte „kulturpolitische Katastrophe“ an<br />

die Wand, falls die Reform kippe. (In Wirklichkeit drohte nur den Kultusministern<br />

Wernstedt usw. eine Blamage.) Als es ihm nicht gelang, auch nur ein winziges bißchen<br />

seiner Revisionsvorstellungen durchzusetzen, trat er aus der Kommission aus, behielt<br />

aber seine Strategie bei. Nach dem Karlsruher Urteil verkündete er wiederum, „jetzt“<br />

müsse man mit der Neuregelung leben, die er allerdings gleichzeitig in Grund und<br />

Boden kritisierte („Praxis Deutsch“ 153, 1998).<br />

Der Kompromißvorschlag soll den Streit beenden, „dem Konflikt ein Ende setzen“,<br />

weitere Volksbegehren überflüssig machen. Das kann aus zwei Gründen nicht<br />

gelingen.<br />

1. Die Reformbetreiber können den Vorschlag nicht akzeptieren, weil er praktisch alle<br />

wirklich wesentlichen Neuerungen aus dem Regelwerk herausbricht. Abgelehnt<br />

werden u. a.<br />

• die vermehrte Getrenntschreibung<br />

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