REGELUNGSGEWALT - vernünftig schreiben
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Die Entstehung der Neuregelung wird zutreffend dargestellt. Daß die Neuregelung im<br />
„Sprachreport“ „ausführlich“ vorgeführt worden sei, kann man allerdings nicht sagen.<br />
Vielmehr war gerade diese verkürzte Darstellung äußerst irreführend. Daß kein<br />
Wörterverzeichnis vorgelegt worden war, bevor die endgültigen Beschlüsse gefaßt<br />
wurden (die Verzögerung durch Minister Zehetmairs Intervention war ja nicht<br />
vorgesehen), bleibt unerwähnt. Sobald fundierte Kritik möglich war, kam sie auch<br />
schon „zu spät“. Löwers Feststellung „Schon die Beschlüsse der Wiener<br />
Orthographiekonferenz von 1994 weisen kaum noch einen Bezug zu früheren<br />
Konzepten auf“ trifft zu und läßt sich teilweise schon auf den Vergleich der Vorlagen<br />
von 1995 und 1992/3 beziehen. Daher ist es unrichtig, wenn die Reformer immer<br />
wieder behaupten, es habe einen jahrzehntelangen Reifungsprozeß gegeben. Vielmehr<br />
gab es aufgrund der Entscheidungen der Kultusbürokratie vollständige Kehrtwendungen,<br />
so daß die gegenwärtig geplante Reform in allen zentralen Punkten das<br />
Gegenteil dessen ist, was die Reformer noch 1993 einstimmig für richtig hielten:<br />
gemäßigte Kleinschreibung, Tilgung der Vokallängenbezeichnung, Fremdwortintegration,<br />
Einheitsschreibung das auch für die Konjunktion.<br />
Wie grobschlächtig die Reformer im Eifer des Zurücksteckens zu Werke gingen, läßt<br />
sich auf Schritt und Tritt beobachten. So sind von mehreren Dutzend h, die seit zweihundert<br />
Jahren zur Tilgung anstanden (und besonders 1876 ein Hauptprogrammpunkt<br />
der Reformer um Konrad Duden waren), schließlich nur zwei geopfert worden, in<br />
Känguru und rau. Was nun das letztere betrifft, so lassen wir die etymologische<br />
Berechtigung des h (die noch aus Rauchwerk = Pelz ersichtlich ist und dem Namen<br />
Allerleirauh Sinn gibt) beiseite und erinnern nur an die feinsinnigen Untersuchungen<br />
Roemhelds zum „Blickfang-h“ bei sinntragenden Wörtern. Alle Analoga zu rau<br />
(schlau, blau, flau, genau) haben Ober- und/oder Unterlängen, nur rau nicht. Für<br />
solche Feinheiten haben die Reformer keinen Sinn. (Oder doch? Immerhin haben sie<br />
nicht erwogen, zäh und roh entsprechend zu vereinfachen: zä und ro sehen noch<br />
armseliger aus als rau und sind wohl deshalb vermieden worden.) Unvergeßlich und<br />
für den Geist der Reformer überaus bezeichnend bleibt jener Vorschlag von 1995, das<br />
h aus Lehde und Lohde zu entfernen – Wörtern, die bis dahin niemand kannte und die<br />
daher der Erleichterung nicht bedurften.<br />
Löwer behauptet, „Grundstrukturen der deutschen Orthographie“ seien nicht betroffen,<br />
und führt als Beweis den eigenen, offenbar mühelos lesbaren Text an. Dieser Text, der<br />
– bei konservativster Zeichensetzung und Silbentrennung – in der Tat nur wenige<br />
(kaum hundert) Verstöße gegen die Neuregelung enthält und zweifellos gut lesbar ist,<br />
beweist aber nur, daß die Neuerungen sich quantitativ in engen Grenzen bewegen<br />
(weshalb sie ja auch schon aus arithmetischen Gründen keine nennenswerte<br />
Erleichterung bringen können und die außerordentlichen materiellen und immateriellen<br />
Kosten gewiß nicht rechtfertigen). Die gute Lesbarkeit neuschreiblicher Texte beruht<br />
auf dem Überwiegen der traditionellen Schreibungen, nicht auf der besonderen<br />
Qualität der Neuschreibungen. Quantitative Argumente sind hier überhaupt fehl am<br />
Platz.<br />
Die Neuregelung greift sehr wohl in Grundstrukturen der deutschen Orthographie ein.<br />
Sie stellt in zentralen Bereichen die bisherige Motivation bestimmter Schreibgewohn-<br />
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Wörterbücher (einschl. Duden Bd. 9) aus der Affäre ziehen, ist ein sehenswertes<br />
Schauspiel. Die vom IDS ausgearbeiteten Popularisierungen in Beilagen von „Woche“<br />
und „Hörzu“ sparen den ganzen Komplex wohlweislich aus.