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Die Welt der Wünschelrutengänger und Pendler - SSOAR

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Manche Kritiker, die sich gerne <strong>der</strong> Rhetorik <strong>der</strong> großen Worte hinge-<br />

ben, wenden ein, die Soziologie könnte sich »Wichtigerem« zuwenden, als<br />

an läppischen Kafleefahrten teilzunehmen, Klatschgespräche zu untersu-<br />

chen - o<strong>der</strong> eben Wünschelrutengehen. Abgesehen davon, daß sich ohne-<br />

hin genügend Soziologen in die politische Rhetorik <strong>der</strong> gewichtigen Ent-<br />

scheidungen aktiv einmischen, sprechen mehrere Gründe für solche Unter-<br />

suchungen.<br />

Zum einen wird sich zeigen, daß diese »Trivialitäten« so unbedeutend<br />

nicht sind. Vielleicht drückt sich hier die Eigenheit des mo<strong>der</strong>nen Lebens<br />

sogar deutlicher aus als in manch »hochmo<strong>der</strong>nisierten« Bereichen. Zwei-<br />

tens <strong>und</strong> wichtiger noch: Als Lehre vom sozialen Handeln hat gerade die<br />

Soziologie die Pflicht, unter die Menschen zu gehen, über die sie redet. Wer<br />

die untersuchten Menschen nur vermittelt über Computerausdrücke, Zah-<br />

lenreihen <strong>und</strong> Zeitungsberichte kennt, mag zwar Wissenschaft treiben; wel-<br />

cher Gegenstand untersucht wird, bleibt indes schleierhaft. »Feldfor-<br />

schung« heißt jedoch nicht nur, Leute mit dem Fernrohr zu beobachten. Es<br />

bedeutet, sich in den Bereich zu begeben, <strong>der</strong> untersucht wird, <strong>und</strong> - sei das<br />

im Gefängnis, in <strong>der</strong> Fabrikhalle o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Staatskanzlei -vom Feld des-<br />

sen eigene Bedeutungen zu lernen, um zu wissen, wovon geredet wird. <strong>Die</strong><br />

Unübersichtlichkeit <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft, die Vielfältigkeit <strong>der</strong> Le-<br />

bensformen <strong>und</strong> die Mannigfaltigkeit <strong>der</strong> Wirklichkeiten, die neben uns le-<br />

bende Menschen ohne unser Wissen schaffen, zu verstehen, zu untersu-<br />

chen <strong>und</strong> darzustellen, scheint mir zu den ureigensten Aufgaben <strong>der</strong> Sozio-<br />

logie zu gehören. Daß sich so wenige Soziologen tatsächlich unter Neona-<br />

zis, Fußballfans o<strong>der</strong> B<strong>und</strong>estagsabgeordnete mischen, will mir als Ver-<br />

säumnis speziell <strong>der</strong> deutschen Soziologie anmuten. Eine Ethnographie <strong>der</strong><br />

Untergr<strong>und</strong>bahn, eine Soziologie <strong>der</strong> Obdachlosen, eine Ethnologie von<br />

Straßengangs - das mag in Frankreich o<strong>der</strong> den USA als rechtmäßiges An-<br />

liegen dieser Wissenschaft begrüßt werden. In unseren Breiten dagegen se-<br />

hen sich Feldforscher rasch dem Vorwurf ausgesetzt, »Journalismus« zu<br />

betreiben o<strong>der</strong> bestenfalls dokumentarische Literatur. <strong>Die</strong> Traditionen ei-<br />

ner »Public Interest Ethnographytt o<strong>der</strong> <strong>der</strong> »urbanen Anthropologie« wer-<br />

den mit einem Gestus europäischer o<strong>der</strong> deutscher Kulturüberlegenheit<br />

ignoriert, die sich nicht einmal an ihre eigenen Quellen erinnert. Alle Hoch-<br />

achtung vor dem nur erahnbaren menschlichen Einsatz <strong>der</strong> dokumentari-<br />

schen Literatur eines Günter Wallraff - was hier jedoch angestrebt ist, ist<br />

(lei<strong>der</strong>) keine Literatur. Verstehen soll hier nicht Mitfühlen heißen, die Be-<br />

lege wollen keine personifizierten Exempel statuieren, son<strong>der</strong>n soziale Ty-<br />

pen skizzieren, <strong>und</strong> selbst wenn mir die sprachlichen Mittel etwa eines Hu-<br />

bert Fichte zur Verfügung stünden, würden sie doch unterhöhlt von <strong>der</strong> har-

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