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StudienVerlag - Oapen

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Bericht über mich selbst [1929]<br />

DV: „Nachwort des Autors“ zu:<br />

Die Blinden von Kagoll. Leipzig 1929 (= Reclams Universal-Bibliothek 7013), 67–72<br />

Ich wurde 1897, am 22. Mai, in Wien geboren, habe dort, ein begabter, doch unzuverlässiger<br />

Schüler, das Gymnasium besucht, bin dann Student der Medizin geworden,<br />

habe nach ein paar Semestern umgesattelt zur Chemie, nach ein paar weiteren<br />

zur Germanistik – und habe dann, zweiundzwanzigjährig, alle Studien an den Nagel<br />

gehängt und einen Brotberuf ergriffen, um heiraten zu können. Ich wurde Buchhalter<br />

einer Bank, Effektenkassier eines Bankhauses, Prokurist eines Industriekonzerns,<br />

dann Leiter und Mitinhaber eines großen Lebensmitteleinführgeschäftes, das sich<br />

jäh nach oben entwickelte – all das in kurzen Intervallen, all das in der Zeit der Inflation<br />

und mit der Ausschließlichkeit, Maßlosigkeit und Überstürztheit des Tempos,<br />

die für jene Zeit charakteristisch war. Um es gleich zu sagen: es ist mir von damals<br />

nicht mehr geblieben als Erkenntnis, als Kenntnisse, als eine Vertrautheit mit dem<br />

sachlichsten Verhalt sehr nüchterner und doch wieder phantastischer Lebensbezirke,<br />

die ich für meine künstlerische Arbeit nicht missen wollte. Wie schwer ich<br />

in den dann folgenden Jahren wirtschaftlich zu kämpfen hatte, wie bitter und wie<br />

erfolglos ich mich bemühte, mir mit literarischen Arbeiten, denen ich trotz allem<br />

schon seit meinen Gymnasiastenjahren nachhing, einiges Brot und Anerkennung<br />

zu schaffen – all das gehört auf ein anderes Blatt. Die Tragikomödie des Kampfes<br />

und Hasardspiels um den Literaturerfolg ist noch nicht geschrieben worden. Hier<br />

nur so viel, daß nach schlimmsten Jahren und rein durch einen Zufall, eine Begegnung<br />

mit meinem jetzigen Freund Ernst Lissauer, der meine Arbeiten sah und<br />

mich zehn Jahre, nachdem ich zu schreiben begonnen hatte, für die Öffentlichkeit<br />

entdeckte, mein Buch „Die Pest von Lianora“ einen Verleger fand und, im April<br />

1927 erschienen, meinen Namen bekannt machte, daß seither mein Parodienbuch<br />

„Mit fremden Federn“ (1927) und mein Buch „Jagd auf Menschen und Gespenster“<br />

(1928), enthaltend „Sachberichte über abenteuerliche oder sonst etwa der Mitteilung<br />

werte Erlebnisse“ und schließlich (Frühling 1929) mein Roman „Sintflut“, meine<br />

umfangreichste und bisher wesentlichste Arbeit, hinausgeschickt worden sind.<br />

Ich habe gesagt: zehn Jahre, nachdem ich zu schreiben begonnen hatte. Das ist<br />

nicht ganz wörtlich zu nehmen. Denn was ich als Gymnasiast (nach einer Zeitspanne<br />

völliger Abkehr von allen geistigen Interessen – ich war Sportschwimmer,<br />

dann sogar Schwimmtrainer – an sozusagen literarischen Produkten hervorbrachte,<br />

würde mich, gäbe es mir ein anderer heute in die Hand, nicht nur zum denkbar<br />

abfälligsten Urteil, sondern auch dazu veranlassen, dem Verfasser jede, aber auch<br />

jede literarische Begabung abzusprechen. Als Student schrieb ich dann ein überlanges,<br />

in Form und Sprache konventionelles Versdrama „Tyl Ulenspiegel“, das mir<br />

trotz seiner Monstrosität und Unzulänglichkeit noch heute lieb ist: es ist kindlich,<br />

gläubig, dichterisch und nicht ohne gedanklichen Gehalt. Dann kamen dramatische<br />

Versuche gleicher Untauglichkeit und, erschienen gewissermaßen unter Ausschluß<br />

der Öffentlichkeit, zwei Gedichtbücher, die durchaus nicht schlecht aber leider auch<br />

nicht hinlänglich bedeutend sind, um Lebensberechtigung zu haben. Jedenfalls tue<br />

ich gut daran, ihre Titel und Verlagsstellen hier zu verschweigen.<br />

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