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StudienVerlag - Oapen

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„Weißt Du, man hat mich schon über einen halben Monat nicht rasiert.<br />

Unlängst fragte mich der Gefängnisarzt, ob ich mir etwa einen Vollbart stehen<br />

lassen will. Was hältst Du eigentlich von dieser Idee, Ruth? Es hat schon<br />

jemand bei den Tirolern sein Glück mit einem schönen Vollbart gemacht. Und<br />

als dann das Rad der Geschichte sich um 180 Grad gedreht hatte und ein Preis<br />

auf seinen Kopf gesetzt wurde, wollte der Betreffende nach Ober-Oesterreich<br />

fliehen. Aber er hätte seinen Vollbart abnehmen müssen, um unerkannt zu<br />

bleiben. Da verzichtete er lieber auf die Flucht. Man hat hier übrigens sogar<br />

eine Straße nach ihm genannt (Andreas-Hofer-Straße). Also was hältst Du<br />

vom Vollbart?“<br />

Begreift man nun den Fall? Noch nicht? Dann lese man, wie dieser Halsmann nach<br />

einem Jahre innig-sachlicher Korrespondenz seine erste Liebeserklärung introduziert:<br />

„Herbert Eulenberg sagt von Heine, daß seine unüberwindliche Scheu vor<br />

allem Pathetischen, diese quälerische Lust, allem Ernsten eine Fratze zu ziehn,<br />

nicht jüdisch, sondern echt rheinländisch seien …, diese Angst vor der Phrase,<br />

diese Furcht vor der Lächerlichkeit, diese Scheu vor den eigenen Tränen, die<br />

ihr Gemüt sich zu zeigen scheut – die ist typisch rheinisch, sie stammt aus<br />

Düsseldorf und nicht aus Palästina. – Seltsam, Ruth, daß gerade vor Dir diese<br />

typisch rheinischen Züge meines Wesens die Oberhand gewinnen.“<br />

Und dieser gehemmte Exote fällt in ein Schicksal – stürzt ab ins Zillertal! Wird<br />

einem im Zillertal der Vater erschlagen, so hat man ihn vor allem schlicht, wortreich<br />

und hörbar zu beweinen. Und nun dieser Philipp Halsmann! Und man begreift seine<br />

Verurteilung noch immer nicht? Dann höre man dieses Gedicht, das vom Staatsanwalt<br />

im Gerichtssaal verlesen wurde und die noch schwankende Meinung der<br />

Richter aus dem Volke gefestigt, dem Fasse endlich den Boden ausgeschlagen hat:<br />

„Auf meinem Bauche wachsen Haare.<br />

Wer weiß warum?<br />

Ich komm’ darüber nicht ins Klare<br />

und weine stumm.<br />

Ich wühl’ in meines Bauches Haaren<br />

in tiefem Schmerz.<br />

Von dem Zuviel des Sonderbaren<br />

zerreißt mein Herz.<br />

Die Seele stirbt und sucht das Wahre<br />

und leidet stumm.<br />

Auf meinem Bauche wachsen Haare –<br />

Wer weiß warum? …“<br />

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