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StudienVerlag - Oapen

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Message to Frau Heydrich [1942]<br />

DV: Ms. Konzept für BBC, o. J. [Juni 1942], ÖNB 21.554<br />

Ich möchte ein paar Worte sagen zu Frau Heydrich. Sie sind in Trauer, Frau Heydrich.<br />

Ich spreche nicht zu Ihnen, um Ihre Trauer zu vergrössem. Die nach dem<br />

Schwert gegriffen haben, werden am Schwert zugrundegehen, und die Henker<br />

sterben von Henkershand. Wir billigen die Justiz, die an Ihrem Mann vollzogen<br />

worden ist, aber wir tun das ohne Jubel, ohne Triumphgefühl. Wir verstehen Ihren<br />

Schmerz. Aber gerade in Ihrem Schmerz werden vielleicht auch Sie uns verstehen.<br />

Ihre Familie ist zerrissen worden. Seit Ihren Mann die Kugel getroffen hat,<br />

weiss ich von mehr als hundert Familien in Prag und Brünn, die nicht zerrissen<br />

worden sind. Bei denen gibt es keine trauernden Hinterbliebenen. Sie sind vereint<br />

– und eingescharrt, alle, Mann und Weib, Gtossmutter und Enkelkind. Macht<br />

es Ihren Schmerz leichter, Frau Heydrich, wenn Sie denken an diese Verscharrten<br />

und Schweigsamen? Ihre Kinder sind ohne Vater. Aber ich weiss von aberhundert<br />

Kindern in einem einzigen Dorf in Böhmen, Lidice heisst es, die auch ohne Vater<br />

sind. Und ihre Mütter sind im Konzentrationslager für Weiber. Ihre Kinder, Frau<br />

Heydrich, sind nicht ohne Mutter. Gehen Sie hin und fragen Sie Ihre zwei Knaben<br />

und Ihr kleines Mädchen, haben Sie den Mut sie zu fragen, ob es ihnen leichter zu<br />

Mute ist in Gedanken an jene Kinder von Lidice.<br />

Und ich frage Sie, Frau Heydrich: wohin soll das führen? Die vorgeben, Rache<br />

üben zu müssen für den Tod Ihres Mannes, haben dem Volk m Böhmen eine letzte<br />

Frist gestellt. Sie sollen den ausliefern, der auf Ihren Mann geschossen hat, und die<br />

letzte Frist ist Donnerstag der 17. Juni. Welches Datum haben wir heute? Und ist er<br />

ausgeliefert worden, der grosse Unbekannte? Und ich frage Sie, Frau Heydrich: was<br />

nun? Und ich frage Sie? wie wenn das Volk in Böhmen den Unbekannten garnicht<br />

kennt? Vielleicht trägt er die feldgraue Uniform der Reichswehr? Vielleicht trägt er<br />

die schwarze Uniform der S.S.? Und ich frage Sie, Frau Heydrich: wie lange noch?<br />

Haben Sie einmal den Namen gehört: Dschingis Khan? Der grosse Vernichter,<br />

der Grausame, der durch das Blut zweier Kontinente gewatet ist. Als es mit dem zu<br />

Ende ging, hat man sein Grabmal gebaut. Und um es seiner würdig zu machen, hat<br />

man lebendige Menschen in die Mauern gemauert. Und da man es gross machen<br />

wollte, dieses Grabmal, wie es einem so grossen Würger zusteht, hat man sehr viele<br />

lebendige Menschen nehmen und in die Mauern mauern müssen, immer mehr und<br />

mehr, bis es ein hoher Turm ward, ganz aus stein-gewordener Qual. Und ganz dort<br />

oben hat man dann den grossen Würger zweier Kontinente in seinen Sarg gelegt.<br />

Warum erzähle ich Ihnen das, Frau Heydrich? Dieser Krieg wird früher zu Ende<br />

sein, als Sie heute glauben. Die Frauen von Lidice werden diesen Krieg überleben,<br />

trotz allem. Sie werden zurückkehren zu den Trümmern ihres Dorfs und werden<br />

ihre Kinder an den Händen nehmen und sie hinausführen zu einem Grab. Und<br />

sie werden sagen: da liegt dein Vater. Die heute noch um Sie stehen in der schmucken<br />

Uniform der Gestapo und der S.S., mit klirrenden Orden an ihrer Brust – die<br />

werden diesen Krieg nicht überleben. Nicht das Gericht, das diesem Kriege folgen<br />

wird. Aber Sie werden leben, Frau Heydrich. Und Ihre Kinder werden Sie fragen:<br />

Mutter, wo ist das Grab unseres Vaters? Sie aber werden ratlos stehen vor der<br />

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