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StudienVerlag - Oapen

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Von Rolly Neumann<br />

Ascona, 26.6.1947<br />

Ms. m. U., ÖNB<br />

Lieber Herr Neumann.<br />

Du hast gestern Abend eine Bemerkung gemacht, die mich so erschreckt hat, dass<br />

ich lieber schriftlich darauf antworten möchte. Wir sprachen von Paris und Du<br />

hast gesagt, Du weisst, dass Du Dich immer darauf verlassen kannst, dass ich nicht<br />

nur darauf bestehen werde zu essen, sondern das Teuerste zu essen. Es ist nicht das<br />

erstemal auf dieser Reise, dass Du etwas Aehnliches gesagt hast. Dazu kommt, dass<br />

Du die ganze Zeit entweder demonstrativ nicht isst, etwas Billigeres isst als ich, oder<br />

noch demonstrativer, den berühmten Most trinkst.<br />

Abgesehen davon, dass das Ganze sehr zu jener leichten Gereiztheit beiträgt,<br />

die uns auf dieser ganzen Reise zu begleiten scheint, sehe ich allzu deutlich, dass<br />

Du noch auf mein Grab wirst schreiben lassen: sie war zu teuer.<br />

Ich glaube, Du wirst fairer Weise zugeben müssen, dass ich viele Jahre ohne alle<br />

Ansprüche mit Dir gelebt habe? Was nun aber meine jetzigen, Dich irritierenden<br />

Ansprüche anlangt, muss ich Dir hierzu sagen: eine Flasche Wein auf vier oder fünf<br />

Tage verteilt, ein Frühstück und eine Mahlzeit in Paris kann ich beim besten Willen<br />

nicht als „Anspruch“ klassifizieren. Wozu verdienst Du Dein Geld? Wenn ich acht<br />

Tage lang in Paris keine einzige Mahlzeit esse, wirst Du deshalb letzten Endes nicht<br />

um einen Pfennig reicher sein. Wozu also soll ich Dulderin à la Wiechert spielen?<br />

(Dein Mosttrinken hat wirklich schon etwas von jener Gebethaltung.) Und selbst<br />

wenn wir durch solche Entsagung ein paar Pfund sparten, wozu? Solange Du lebst,<br />

wirst Du uns immer jene 1½ Mahlzeiten verdienen können. Sollte ich das Pech<br />

haben, Dich zu überleben, werde ich weder für diese noch andre Ansprüche Geld<br />

haben. […]<br />

Geliebter Herr Neumann, überleg Dir einmal bitte, ob Du das Ganze nicht<br />

vielleicht von heute bis zum 18. Juli abstellen kannst, es würde unsere Ferien sehr<br />

verschönern. Was nach dem 18. Juli kommt, kann man ja noch nicht wissen, irgend<br />

etwas wird Dir dann schon wieder einfallen und ich schreib dann einen neuen Brief.<br />

Deine<br />

Geduldete<br />

Dulderin à la Wiechert – Den Geist der Entsagung im Werk des „hochsinnigen Ernst<br />

Wiechert“ hat RN unter dem Titel „Die Braut des Sigurd Zapletal“ parodiert.<br />

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