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StudienVerlag - Oapen

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25 Jahre Republik Österreich –<br />

Rede auf der Kundgebung des<br />

Free Austrian Movement (FAM) (1943)<br />

DV: Ms. mit hs. Einfügungen, ÖNB 21.584<br />

10.11.43, Porchester Hall, London<br />

Meine Damen und Herren, wenn Sie in der Geschichte nachlesen, werden Sie entdecken,<br />

dass Schriftsteller in Revolutionen immer eine ganz bestimmte Funktion zu<br />

erfüllen haben. Sie haben traditionsgemäss mit geschwungener Fahne an der Spitze<br />

eines Arbeiter und Studententrupps irgendetwas zu erstürmen. Sie werden dann<br />

meistens erschossen. Von ihren eigenen Leuten. Meistens mit Recht.<br />

Leider sind meine eigenen Erinnerungen an den Tag vor 25 Jahren, dessen wir<br />

heute gedenken, nicht ganz so heroisch. Ich war damals ein Medizinstudent, bei uns<br />

im Institut hat es geheissen, dass in der Herrengasse etwas los ist, ich bin hin, auf<br />

den Votivplatz oder Freiheitsplatz – ich glaub er heisst jetzt anders – hab ich einen<br />

einzelnen Schuss gehört, ich hab als ein vorsichtiger Mensch feldmässig Deckung<br />

genommen, in einem grünen Häuschen, das wohl noch immer dortsteht – vielleicht<br />

ist es jetzt braun – und es war in diesem Häuschen, auf meine verstörte Frage, was<br />

denn da eigentlich los sei, dass die professionelle Dame, die dort ihren Amtssitz<br />

hatte, es mir gesagt hat. Sie hat gesagt: Aus mit der Monarchie!<br />

Unter so undramatischen, unheroischen Umständen habe ich es erfahren. So<br />

unblutig ist es zugegangen bei uns in Oesterreich. In Deutschland, zu gleicher<br />

Zeit, sind sie einander weinend in den Armen gelegen oder haben einander mit<br />

Maschinengewehren und Handgranaten umgebracht, je nachdem, aber bei uns<br />

in Wien – wen hätten wir denn umbringen sollen? Wir haben darauf gehofft und<br />

dafür gearbeitet gehabt, aber schließlich ist es doch so überraschend gekommen,<br />

dass wir für eine kurze Weile die österreichischste unserer Eigenschaften vergessen<br />

haben und einfach einer Meinung gewesen sind. Die paar Reaktionäre? Ich<br />

bitte Sie. Die sind erst viel später wieder aus ihren Löchern hervorgekrochen.<br />

Offizieren die Epauletten abreissen? Die Offiziere, die ich gesehen hab, haben<br />

sich die Epauletten selbst abgerissen und mit den Anderen Hurrah geschrien.<br />

Man muss gerecht sein: selbst die tragische Operettenfigur, die damals bei uns<br />

Monarch war, hätte sich schon lange vorher aus der Affaire gezogen. wenn man<br />

es ihm erlaubt hätte. Wir haben ihn abreisen lassen, ohne Gewalt, und nur mit<br />

einen leisen Erstaunen darüber, dass es sowas noch gibt. Die Erklärung liegt auf<br />

der Hand. Wir haben nicht einen Augenblick lang das Gefühl gehabt, wie unsere<br />

sturen und tragischen Vettern drüben in Deutschland, dass für uns ein Krieg<br />

verlorengegangen ist. Wieso denn. Es war ja doch nicht unser Krieg. Und die<br />

Monarchie, die da auseinandergefallen ist, war nicht unsere Monarchie. Ich weiss,<br />

man sagt uns nach, dass wir in ihr das Herrenvolk gewesen sind und die anderen<br />

Nationen unterdrückt haben. Aber wer hat unterdrückt? Ich? Mein Vater? Eure<br />

Väter? Der Bauer in Tirol? Der Arbeiter in Favoriten? Wo war der ein Herrenvolk?<br />

Nein, der Tag vor 25 Jahren war ein Fest für uns auch deshalb, weil wir diesen<br />

Herrenvolk-Schwindel endlich losgeworden sind.<br />

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