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StudienVerlag - Oapen

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Von „Rolly“ [Becker]<br />

[Bad Aussee?], 26.7.1937<br />

Ms. m. U., ÖNB<br />

Lieber Robert,<br />

dieser Samstag muss ja ein grauslicher Tag für Dich gewesen sein, Du Armer! Ich<br />

spüre es Deinem Brief so stark an, wie bös Du mit Dir und der Welt warst. Hoffentlich<br />

sind alle Kopfschmerzen inzwischen weg. Es ist mir ein grosser Trost, Dich<br />

nicht einsam und allein in der Einöde zu wissen. Ich wünsche Dir nun sehr, dass<br />

Alles gut geht, und Du bereits wunderbar arbeitest.<br />

Ich bin inzwischen unter die wildesten gojim gefallen. Ich will Dir zum Beweis<br />

nur zwei Dinge vom gestrigen Abend erzählen: der Radfahrerverein tagte und soff<br />

im Weissen Rössl und kernige Männer sangen kernige Lieder. Voll Begeisterung<br />

stiftete ihnen mein Vater einen Humpen Bier. Zum Glück – und meiner grossen<br />

Freude – wurde der kernige Gesang dann langsam sehr unanständig, und man<br />

verliess fluchtartig das Lokal. Im nächsten Lokal (denn so verbringt man die Tage,<br />

von einem Lokal ins andere wandelnd) versicherte mir mein Vater plötzlich, das<br />

grösste Erlebnis meines (meines) Lebens sei die Revolution von 1918 gewesen.<br />

Diese Schmach, die kein Deutscher je erwartet hätte, dürfte ich nie vergessen! Ich<br />

war buchstäblich sprachlos und bin es eigentlich noch. Er ist wieder vollkommen<br />

national und konservativ geworden und scheint seine demokratische Vergangenheit<br />

einfach verdrängt zu haben.<br />

Geld haben sie soviel, dass einem einfach schwach wird. Was ausgegeben wird,<br />

spielt überhaupt keine Rolle. Sie haben schon wieder einen neuen Wagen, was<br />

ich nicht wusste. Das Aussehen meines Zimmers hat meinen Vater tobsüchtig<br />

gemacht – so darf seine Tochter nicht wohnen. Meine alten Kleider haben meine<br />

Mutter zu Tränen gerührt. Ich kriege eine Ladung neuer Gewänder. Sie sind überhaupt<br />

rührend, aber absolut unerträglich. Du bist der unkomplizierteste, sanfteste<br />

Engel im Privatleben, verglichen mit meinem Vater. Hab keine Angst, ich bin sanft<br />

wie ein Lamm. Ich bin ihnen ja auch wirklich dankbar, aber ich werde nach diesem<br />

Zusammensein dringend einen Erholungsurlaub brauchen.<br />

Samstag waren wir in Hallstatt und beim Zauner. Es gab keinen Kirschenkuchen<br />

mehr, und der Aufenthalt dort hat mich auch sonst leicht melancholisch gemacht.<br />

Sonntag wollte ich mir von ihnen den Traunsee zeigen lassen, aber es kam nicht<br />

dazu. Die österreichischen Autostrassen entsprechen nicht den deutschen Bedürfnissen,<br />

man kann den armen Leuten wirklich nicht zumuten auf so etwas zu fahren!<br />

Mein Vater ist heute früh weggefahren, Mutter bleibt bis Sonntag und die<br />

Münchner holen sie doch ab.<br />

II<br />

Die Hauptsache: ich kann Dir gleich 200 S. schicken, wenn Du Dein englisches<br />

Geld jetzt nicht eintauschen willst. In acht Tagen bekomme ich dann nocheinmal<br />

Schillinge, darum verfüge wirklich über mich. Was soll ich denn mit soviel österreichischem<br />

Geld. Um mein Leben hier brauchst Du Dir nun also wirklich keine<br />

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