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StudienVerlag - Oapen

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An Friedrich Karl Kaul<br />

Locarno, 7.3.1966<br />

Ms. o. U., ÖNB<br />

Sehr geehrter Herr Professor Kaul,<br />

ich danke Ihnen bestens für Ihren Brief vom 23. Februar. Es freut mich, daß Sie den<br />

Komplex „Igel“ erst sekundär als einen Sie persönlich betreffenden ansehen und,<br />

gleich mir selbst, primär als einen grundsätzlichen. Im ganzen habe ich das Gefühl,<br />

daß wir in einem privaten ebenso wie in einem öffentlichen Gespräch bezüglich<br />

des Gesamtproblems der deutschen Geisteshaltung zwanzig Jahre nach Kriegsende<br />

sehr viel mehr Gemeinsames finden werden als Gegensätzliches.<br />

Ich schicke Ihnen hier einen Brief des Herrn H. M. Hieronimi, Verlegers in<br />

Bonn, der gleichzeitig Vorsitzender der Bonner Humanistischen Union ist, sowie<br />

Durchschlag meiner gleichzeitigen Antwort – beides mit der Bitte um gelegentlichen<br />

Rückschluß. Diese Korrespondenz spricht für sich selbst. Kommt die Sache<br />

aus diesem oder jenem Grunde in Bonn nicht zustande, so treffe ich Sie natürlich<br />

auch gern in Berlin, wenn sich dort Geeignetes arrangieren läßt. […]<br />

Friedrich Karl Kaul – Der Jurist, Hochschullehrer und Schriftsteller war Bürger der DDR.<br />

Als in der BRD zugelassener Rechtsanwalt trat er oft in viel beachteten Prozessen<br />

mit politischem Kontext auf, unter anderem als Vertreter der Nebenkläger in den<br />

Auschwitz-Prozessen.<br />

Ein DDR-Anwalt namens Igel – verknüpft mit assoziativen Verweisen auf Kaul – ist<br />

eine der zentralen Figuren in Neumanns Roman „Der Tatbestand …“. In seinem Brief<br />

vom 23.2.1966 kommentiert Kaul: „An sich hat es mich nicht sehr beschwert, daß<br />

die westdeutsche Presse bei der Besprechung Ihres Buches mich als Rechtsanwalt<br />

Igel identifizierte. Im Verhältnis zu dem, was sie sonst über mich schreiben, muteten<br />

diese Überlegungen gewissermaßen noch wohlwollend an. Da sich Ihr Buch nicht<br />

in der Person des fraglichen ‚Igel‘ erschöpft, sondern sehr grundsätzliche Probleme<br />

anspricht, stimme ich gern Ihrem Vorschlag zu, und stehe Ihnen zu den fraglichen<br />

Veranstaltungen in Bonn bzw. Düsseldorf zur Verfügung“.<br />

Mit den „Veranstaltungen“ sind Forumsdiskussionen zur „Tatbestand“-Thematik<br />

gemeint, wie sie zuvor an der FU Berlin (mit Unterstützung des Senats am 22.1.1965)<br />

und an der Universität Hamburg (am 30.11.1965) – jeweils auf Initiative der Humanistischen<br />

Studentenunion – stattgefunden hatten. Die Diskussionen in Bonn (und<br />

Düsseldorf), die der Verleger Hieronimi namens der Humanistischen Union organisieren<br />

wollte, kamen nicht zustande. Der nachmalige Präsident des Börsenvereins des<br />

Deutschen Buchhandels, dem die Formierung einer Front gegen die gerichtlichen<br />

Verbote „pornographischer Literatur“ vielleicht mehr am Herzen lag, nutzte jedenfalls<br />

die angebahnten Kontakte für eine Tagung, bei der Neumanns Interesse an der Erörterung<br />

des „guten Glaubens der Deutschen“ etwas ins Hintertreffen geriet. Am 25.2.1966<br />

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