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StudienVerlag - Oapen

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Die Sorgen und die Macht (1963)<br />

Vorläufige Notizen von einer Reise nach dem Fernsten Osten<br />

ED/DV: Die Zeit, 18, 22. Februar 1963/ Ms.-Konzept: ÖNB 21.372<br />

„Die Sorgen und die Macht“ ist zugleich der Titel dieses Aufsatzes, die Quersumme<br />

meiner Eindrücke aus zehn Tagen in Ostberlin und der Titel eines Stückes des jungen,<br />

sympathischen, fanatischen Peter Hacks, das im Deutschen Theater lief (bis es<br />

sehr schnell wieder abgesetzt wurde) und bei dem es um folgendes geht.<br />

Erster Akt: Eine Brikettfabrik produziert mehr als ihr Plansoll, den Arbeitern<br />

geht’s gut, aber die Briketts sind so schlecht, daß die Arbeiterinnen der mit ihnen<br />

belieferten Glasfabrik zu wenig produzieren und zu wenig verdienen – Delegation<br />

„Ihr stehlt unser Geld, Genossen“ – love interest Brikett/Glas –<br />

und Ergebnis der zweite Akt: gute Briketts, aber zu wenig, infolgedessen zu<br />

wenig Geld während das Glas prosperiert – love interest psychoanalytischerweise<br />

durch Impotenz bedroht, bis –<br />

Akt drei – Brikett der Partei beitritt und den wahren Weg findet: Verbesserung<br />

der Produktionsmittel und infolgedessen Qualität plus Ober-Soll-Erfüllung.<br />

Erschwert wird der Vorgang dadurch, da zum großen Vorhang der ersten Hälfte<br />

ohne organische Verbindung mit dem dramatischen Ablauf die Nachricht von der<br />

ungarischen Revolution von 1956 kommt, worauf der Parteisekretär nach anfänglichem<br />

Sträuben rein aus seinem schlichten, aber geschulten Verstand heraus eine<br />

Erklärung der Vorgänge hinlegt, die an die rituelle Beschimpfung der „Schuldigen“<br />

bei den Trotzkisten-Prozessen der dreißiger Jahre (und wievieler „Schuldiger“ seither?)<br />

erinnert und einfach entsetzlich ist – aus dem Mund dieses hochbegabten<br />

jungen Schriftstellers, dessen Aristophanes-Bearbeitung („Der Friede“) ich am<br />

Abend vorher in großartiger Aufführung mit reinem Genuß gesehen hatte. (Was<br />

für ein Gewinn, dieses Stück, für jede gute Bühne! Was für ein Komödienschreiber,<br />

dieser Hacks!)<br />

Und nun: Ich sage meinen Ostberliner Freunden, daß mir diese „Sorgen und die<br />

Macht“ sehr mißfallen haben – und sie sagen ein wenig fassungslos: „Da sind Sie ja<br />

auf einer Linie mit ‚Neues Deutschland‘!“ Denn, so erfahre ich, das Stück sei – und<br />

darum habe man mich hingeschickt – ein Musterbeispiel der neuen Zivilcourage!<br />

Dieses Aufzeigen dessen, was nicht klappt! Diese Anklage gegen die Folgen der<br />

Sucht, um jeden Preis Quantität zu leisten, auch auf Kosten der Qualität! Ich: „Und<br />

die Anklage gegen die ungarische Revolution?“ Meine Freunde: „Aber an der stimmt<br />

ja doch jedes Wort!“<br />

So weit hat man sich schon auseinandergelebt und auseinandergeredet. Tatsächlich<br />

wurde Hacks’ Stück zweimal wöchentlich nach Fallen des Vorhangs<br />

vom Publikum aufs heftigste diskutiert. („So weit sind wir schon! Früher wäre<br />

das unmöglich gewesen!“) Tatsächlich steht im „Neuen Deutschland“ ein langer,<br />

scharfer Verriß. (Hacks – ein aus dem Westen Zugewanderter – müsse zuerst<br />

mal wirklich unter Arbeitern und Bauern leben; solche Zustände gebe es nicht<br />

in der DDR). Tatsächlich findet sich jetzt offenbar keine andere Bühne bereit, das<br />

Stück aufzuführen, nachdem es aus dem Deutschen Theater so schnell wieder<br />

verschwinden mußte.<br />

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