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StudienVerlag - Oapen

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An Erich Bielka<br />

Locarno, 17.1.1969<br />

Ms. o. U., ÖNB<br />

Lieber und verehrter Herr Doktor Bielka,<br />

haben Sie Dank für Ihren überaus freundlichen Brief. Nun muß ich Ihnen ja wohl<br />

zur Ergänzung das inzwischen erschienene „Tagebuch“ schicken, das diese Biographie<br />

in gewissem Sinn weiterführt.<br />

Ihre Frau Mutter habe ich ja damals getroffen. Bitte bestellen Sie ihr, über all<br />

die Jahre hinweg, meine herzlichste Empfehlung. Daß Rudolf Jeremias Kreutz mir<br />

aus jener Zeit eine sehr lebendige Erinnerung ist, habe ich Ihnen ja bei unserer<br />

Begegnung gesagt. Auch an jenen Besuch im Jahr 36 erinnere ich mich genau; ich<br />

fuhr damals von Grundlsee weiter zu Hermann Broch, der an der Seestraße nach<br />

Gössl wohnte. (Sein Haus habe ich letztesmal dort nicht wiedergefunden).<br />

Was Sie in Ihrer Bibliothek haben, ist die Erstausgabe von ‚Karriere‘ – es ist<br />

reizend von Ihnen, sie mir anzubieten, aber Sie sollten dieses in dieser Ausgabe<br />

längst nicht mehr vorhandene Buch als bibliophiles Kuriosum bewahren. Ich habe<br />

noch ein Exemplar hier.<br />

Jene Fernsehsache betreffend: seit ich in gewissen Pornographie-Verfahren als<br />

Sachverständiger für die Angeklagten eingegriffen habe, liege ich in ständiger Fehde<br />

mit den Sittenwächtern des Volkswartbundes, dessen Münchener Korrespondent<br />

offenbar gleichzeitig Korrespondent der Tiroler Tageszeitung und – das gehört ja<br />

zusammen – Korrespondent der National- und Soldatenzeitung ist. Die Tiroler<br />

haben sich offenbar inzwischen mit mir ausgesöhnt – erst vor zwei Wochen sandten<br />

sie mir einen Rundfunkreporter – und ein von mir eben für die Publikation im<br />

nächsten oder vielleicht schon in diesem Jahr geplantes Buch über Österreich wird<br />

die empfindlichen Leute dort hoffentlich vollends beruhigen.<br />

Sehr dankbar bin ich Ihnen für diese Information bezüglich Doderers. In dem<br />

Ihnen heute geschickten Buch werden Sie lesen, daß ich mich schließlich von ihm<br />

und seinen Freunden davon überzeugen ließ, er sei nie ein wirklicher Nazi gewesen.<br />

Ich habe in meinem Leben so vielen Leuten in so vielen Beziehungen Unrecht getan,<br />

daß es mich im Hinblick auf jene Rechnungslegung vor Gottes Thron privatim freut,<br />

einen ausnahmsweise einmal besser beurteilt zu haben als er es verdiente. […]<br />

Doderer hatte sich während des Wien-Aufenthalts von RN im Juni 1955 ostentativ<br />

um kollegiale Nähe bemüht. In einem (ersten) Brief vom 14.8.1955 (ÖNB) beschwor<br />

er die „schöne Melancoley“ des Wiedersehens, „wie man diese schöpferische Seelen-<br />

Lage im ausgehenden Mittelalter zu nennen pflegte“; die „konkreten Fakten“ hätten<br />

ihm bewiesen, „die Continuität persönlicher Bezüge“ sei „stärker“ als das „sogenannte<br />

‚geschichtliche Leben‘“.<br />

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