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StudienVerlag - Oapen

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sich ab 1956 rasch verschlimmert, verdüstert das Leben der Familie in den nächsten<br />

Jahren auf nachgerade tragische Weise.<br />

RN ist seit 1950 einer der Vizepräsidenten des International PEN. In dieser<br />

Funktion sieht er seine Aufgabe darin, inmitten des Kalten Kriegs zwischen den<br />

PEN-Zentren in West- und Osteuropa zu vermitteln und die Option eines Brückenschlags<br />

zum Sowjetischen Schriftstellerverband offenzuhalten. Vor allem seine<br />

wiederholten Bemühungen, in den latenten Konflikten zwischen dem „Deutschen<br />

PEN-Zentrum Ost und West“ und dem „Deutschen PEN-Zentrum (Bundesrepublik)“<br />

entspannungsorientiert zu wirken, bringt ihm Argwohn und Feindseligkeiten<br />

aus der rechten BRD-Ecke ein (siehe dazu Hanuschek 2004). Vollends zum „Kommunisten“<br />

mutiert RN mit dem Kongress des International PEN im Juni 1955 in<br />

Wien: Er nutzt seine Schlussansprache, um sich von einer Brandrede von Präsident<br />

Charles Morgan im Geiste des Kalten Kriegs abzugrenzen. RN durchkreuzt damit<br />

die Intentionen der Wiener Strippenzieher um Friedrich Torberg und Hans Weigel,<br />

den Kongress in ein Tribunal gegen die „Mörder“ und „Kreaturen um Arnold<br />

Zweig“ umzufunktionieren (siehe dazu Stadler 2010).<br />

Der mediale Gegenwind ist auch dem Verkauf der Neuauflagen der „unbekannten“<br />

älteren Werke von RN wenig zuträglich. In seiner Verzweiflung plant RN in<br />

Absprache mit dem völlig eingeweihten Verleger Kurt Desch einen Coup; er schreibt<br />

unter Pseudonym den „Erstlingsroman einer jungen Frau“: „Mathilde Walewska:<br />

Meine schöne Mama“ (1956). Die Marketing-Mystifikation ist äußerst erfolgreich,<br />

die Zeitungen wetteifern im Rätselraten über diese „neue Francoise Sagan“, der kolportagehafte<br />

Roman wird rasch in zahlreiche Sprachen übersetzt und auch verfilmt.<br />

RN lässt sich erst 1961 als („Mit-“)Urheber durch Katja Mann „entdecken“, nachdem<br />

er – gegen den Willen Deschs – Teile des Romans in „Olympia“ eingearbeitet hat.<br />

Ungewöhnlich lange sitzt RN an seinem (ersten) autobiographischen Text, den<br />

er bereits 1948 Querido und 1953 Hutchinson liefern wollte und sollte: „Mein altes<br />

Haus in Kent. Erinnerungen an Menschen und Gespenster“ erscheint 1957, die<br />

parallel geschriebene englische Fassung: „The Plague House Papers“ folgt 1959.<br />

Wie in den späteren Erinnerungsbänden spielt RN im „alten Haus“ raffiniert mit<br />

mehreren Zeitebenen, mit offenkundiger Fiktion und pointensicher stilisierter<br />

Wahrheit. Herzstück des Buchs ist die in den „Memoirs of Henry“ vorkonzipierte<br />

Familienchronik. RN hat in diesen „Schicksalsteppich“ viel Hörensagen eingewebt.<br />

„Ob diese Geschichte seiner Ahnen aufs Wort stimmt oder nicht, ist im Grunde auch<br />

nicht wesentlich, wichtig ist sie vor allem nur, weil sie paradigmatische Bedeutung<br />

für die Geschichte jüdischer Wanderschaft und Verfolgung hat“, merkt dazu der<br />

RN-Biograph an (Hans Wagener 2007, 178).<br />

Der „Zeit“-Kritiker Hühnerfeld nimmt das „alte Haus“ und das Geburtstagsbuch<br />

für RN: „Stimmen der Freunde“ (1957) zum Anlass für eine Erklärung im Namen<br />

„der“ Leser von heute, die die „schnoddrige“, „komplizierte“, „messerscharfe“<br />

„hochgezüchtete Großstadtliteratur“ nicht mehr wünschen: „die ‚glücklichen zwanziger<br />

Jahre‘ sind vorbei.“<br />

Die in den letzten Monaten fast erblindete Gattin Evelyn – im „alten Haus“ als<br />

Griselda verewigt – stirbt im Oktober 1958 (Nierenversagen und Bluthochdruck).<br />

Wie bereits seit Jahren erwogen, übersiedelt der 61-jährige Witwer mit dreijährigem

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