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StudienVerlag - Oapen

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An Alice Herdan-Zuckmayer<br />

Locarno, 10.4.1967<br />

Ms. o. U., ÖNB<br />

Liebe und verehrte gnädige Frau,<br />

ich lebe nun schon seit einigen Tagen in einem inneren Konflikt, den ich nicht für<br />

mich behalten will.<br />

Einerseits habe ich die Autobiographie des von mir seit so langen Jahren sehr<br />

geschätzten Zuckmayer gelesen – und im Gegensatz zu den hunderttausenden,<br />

die dieses Buch lieben, kann ich mich mit ihm gar nicht befreunden – was sicher<br />

mein Fehler ist; ich bin ein schiechter Mensch und für so viel Edles, Schönes und<br />

Poetisches bin ich einfach nicht aufnahmefähig.<br />

Nun müßte ich all das nicht sagen, wenn nicht zwei Dinge eingetreten wären:<br />

Erstens habe ich dieses Buch höchst lieblos parodiert (das liegt noch im Manuskript<br />

auf meinem Schreibtisch, aber es wird wohl bald einmal das Licht der Druckerschwärze<br />

erblicken) – und<br />

zweitens und vor allem: all das ist nebensächlich und ich erwähne es nur aus<br />

Fairness. Das Hauptsächliche ist, daß dieser Brief ein „Fächer Vermieter“ (fan letter)<br />

ist – gerichtet an Sie. Jemand hat mir unlängst „Das Kästchen“ geschickt. Das ist so<br />

entzückend und mich bewegend (ich bin ja doch auch in diesem Milieu aufgewachsen),<br />

daß ich Ihnen das einfach sagen muß. Es ist großartig geschrieben und hat für<br />

diesen Ihren Leser genau das an herber Echtheit, was er in Zuckmayers Autobiographie<br />

vermißt – und was sollen wir mit dieser ehestörenden Erkenntnis anfangen?<br />

Eigentlich hatten wir die Absicht, irgendwann in diesem Jahr bei Ihnen beiden<br />

dort vorüber zu kommen – das hätte längst geschehen sollen – aber damit ist es ja<br />

nun Essig. Zuckmayer wird von mir nichts mehr wissen wollen, wenn er einmal<br />

meine Parodie gelesen hat.<br />

Bleibt also nur dieser Brief, der Ausdruck meiner Bewunderung und meiner<br />

herzlichsten Wünsche. Und versuchen Sie, immerhin, vorsichtig, auch Ihrem Mann<br />

meine herzlichen Grüße zu vermitteln. […]<br />

„Das Kästchen. Die Geheimbisse einer Kindheit“ ist 1966 erschienen und wurde mehrmals<br />

neu aufgelegt.<br />

Auf diesen Brief antwortet Carl Zuckmayer am 11.4.1967 (ÖNB): „Parodieren Sie<br />

getrost, das hat noch keinem Buch und keinem Autor geschadet, und wenn die Parodie<br />

‚lieblos‘ ausfällt, desto besser: dann spürt man wenigstens, dass es dem Parodisten<br />

nicht gleichgültig war. Und Sie haben vermutlich damit recht, dass es Ihr Fehler ist,<br />

wenn Sie in dem Buch zu viel ‚Schönes, Edles und Poetisches‘ finden. Denn unecht<br />

oder verlogen ist das bestimmt nicht, und ich empfinde keine Verpflichtung, die Welt<br />

schwärzer zu malen, als sie sich mir gezeigt hat. Ich sehe Ihrer Parodie mit gefasster<br />

Spannung entgegen.“<br />

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