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StudienVerlag - Oapen

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Tot waren aber auch die paar armen Teufel von Juden, die jenen Massakern<br />

entronnen waren – entweder wirklich tot, oder abgewandert ins Ausland. Nur ein<br />

paar der Lebenstüchtigsten hatten auch Schritt gehalten und sich im Wirtschaftswunderland<br />

durchgesetzt.<br />

Für sie alle, aus den verschiedensten Gründen, bedeutete die alte Gebärde<br />

deutsch-jüdischer Brüderlichkeit überhaupt nichts mehr. Die das sinn-entleerte<br />

Brauchtum noch weiterschleppten bis zum heutigen Tag, sind Kleinfunktionäre<br />

auf beiden Seiten – ein mittelhoher Ministerial- oder Landesbeamter, der auch mal<br />

gern eine Rede schwingt, und ihm antwortet einer jener sogenannten Berufsjuden,<br />

so genannt, weil ihnen ihr Judesein zur tagesfüllenden Beschäftigung geworden ist.<br />

Sie hatten nie etwas zu sagen, aber jetzt sagen sie’s. Heine sagen sie, Börne, Einstein,<br />

Freud (Auch Marx? Nein, Marx lieber nicht.)<br />

Sie sind arme Teufel und so repräsentativ fürs Judentum, wie der ihnen gegenüber<br />

seine Rede schwingende Mittelbeamte repräsentativ fürs Deutschtum ist.<br />

Hüben wie drüben sind diese Trefflichen bester Gesinnung voll. Es gibt offenbar<br />

nichts verworren Sinnloseres auf längere Sicht, als auf eine kleinkarierte Weise guter<br />

Gesinnung voll zu sein – jedes Wort hundertmal gesagt, jede Phrase hundertmal<br />

abgegriffen, kein Schwein hört denen noch weiter zu, der Effekt ist Null.<br />

Und zwar nicht einfach wegen der Subalternität der Veranstalter, sondern weil<br />

die edle Ausgangssituation von anno dazumal von so viel neuer Realität überrollt<br />

worden ist, dass das Ganze von den inzwischen herangewachsenen Jungen gar nicht<br />

mehr verstanden wird.<br />

Was hat sich verändert? Vor allem das Selbstverständnis der Juden selbst. Was uns<br />

Alte betrifft, so trat irgendwann seit dem Krieg, und natürlich am eindringlichsten<br />

seit den Siegen des jungen Israel, an jeden von uns die Forderung heran: Da – das<br />

liegt vor – jetzt entscheid’ dich. Zweitausend Jahre Exil haben dich immer wieder zum<br />

Opfer von Demütigung und Gemetzel gemacht – aber du hast es triumphal überlebt.<br />

Aus dem Triumph dieses Überlebens hast du so etwas wie die Stärke deiner Schwäche<br />

gewonnen: Hefe im Teig zu sein – die großen Beweger – Anstoßgeber jeder kühnen<br />

Erneuerung seit den Zeiten des Juden Jesus bis zum heutigen Tag. Eine metaphysische<br />

Position – die des Judentums im Exil. Und nun entscheid’ dich: willst du diese<br />

metaphysische Position eintauschen gegen das Bürgerrecht des best-funktionierenden,<br />

modernsten, brillantesten, militantesten Kleinstaats an der Ostküste des Mittelmeers?<br />

Man verstehe mich richtig: ich stelle die Frage, wie sie jedem unter uns Juden<br />

von seinem Gewissen gestellt wird. Sie zu beantworten so oder so – das hat jeder für<br />

sich allein zu tun. Aber die Dimension der Fragestellung zeigt an sich schon, dass<br />

die Antworten nicht im Denkbereich eines Versimplers wie des Herausgebers der<br />

BILD-Zeitung zu finden sind. Er hat sich ein plattes Weltbild geschaffen, ein Weltbild<br />

für Dummköpfe. Er teilt die Menschheit in BILD-Leser und in Kommunisten<br />

ein. Wer nicht das eine ist, ist das andere. Mao, Ulbricht, APO, Baader-Meinhof,<br />

Juso, Ostpolitik Willy Brandts – die sind ihm alle gleich. In logischer Konsequenz<br />

sieht er im Sechstagesieg der amerikanisch unterstützten Israelis über die Moskauunterstützten<br />

Araber einen Sieg der Firma Springer über den Weltkommunismus.<br />

Und da er dazu noch das Judentum mit Israel gleichsetzt, paßt ihm jede Wiederholung<br />

jener realitätslos gewordenen „Wochen der Brüderlichkeit“ in seinen Kram.<br />

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