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StudienVerlag - Oapen

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An Gisela Berglund<br />

o. O., 22.9.1970<br />

Ms. o. U., ÖNB<br />

Liebe Gisela,<br />

wir stehen eigentlich schon zwischen gepackten Koffern (Buchmesse) – aber ich<br />

will doch rasch ein Wort wärmsten Dankes für den Brief vom 10.9. diktieren und<br />

dazu eine kurze Antwort auf die konkreten Fragen.<br />

1) Es ist völlig unsinnig, die „Exilliteratur“ mit dem Jahr 48/49 enden zu lassen.<br />

Viele Autoren sind (gleich mir selbst) wesentlich länger in den Exilländern geblieben<br />

– manche bis heute – und von den Heimkehrern sind die wenigsten wirklich<br />

in ihr Ursprungsland heimgekehrt. Überdies wurde viel im Exil Geschriebenes erst<br />

viel später aus klarerer Sicht bearbeitet und publiziert.<br />

Die Exilliteratur wird in diesem Sinn erst mit den exilierten Autoren sterben.<br />

Ein für diese Argumentation wichtiges Büchlein ist bei List erschienen: „Ich lebe<br />

nicht in der Bundesrepublik“, herausgegeben von Hermann Kesten.<br />

2) Ich kenne keinen Autor, der dort weiter arbeitete, wo er 1933 aufhörte. Das<br />

würde ja doch voraussetzen, daß man diese ganze für jeden einzelnen lebenswichtige<br />

Exilperiode ausklammern könnte oder wollte. Thematisch hat sich das von den<br />

Exilautoren im (vielfach auch heute noch immer nicht beendeten) Exil Produzierte<br />

stets von den in Deutschland verbliebenen Nicht-Nazis unterschieden – soweit es<br />

solche echte Nicht-Nazis überhaupt gab. Ich glaube nur in den seltensten Fällen an<br />

die Existenz einer wirklichen „inneren Emigration“. Die wenigen Ausnahmen wären<br />

die Gedichte von Haushofer oder Schulze-Boysen und –‚Memorial‘ von Weisenborn<br />

(allerdings erst hinterher geschrieben). Die aus dem Kahlschlag erwachsene Gruppe<br />

47 hat zum Thema 3. Reich (einschließlich des Themas Exil) im wesentlichen nur<br />

Schmollmündchen gezogen, aber praktisch nichts zu Papier gebracht. Zu den wenigen<br />

Ausnahmen gehören wohl ein paar kleine Arbeiten von Walser und ‚Ephraim‘<br />

von Andersch (aber ich bin da Partei, vielleicht bin ich ein wenig ungerecht).<br />

Zu diskutieren wäre allenfalls der Fall Thomas Mann, dessen zwiespältiger<br />

Aspekte ja bekannt sind (siehe auch „Vielleicht das Heitere“).<br />

3) Grundsätzlich wäre natürlich kein Unterschied zu machen zwischen jüdischen<br />

deutschen und „arischen“ Emigranten. Die Zugehörigkeit zum Judentum<br />

hatte sicherlich in vielen Fällen eine Einwirkung – aber durchaus nicht notwendigerweise<br />

„geradlinig“. Beispiel: ohne ein Jude und beinahe ein linker Zionist gewesen<br />

zu sein, wäre Döblin nie so militant katholisch geworden. Auch die Hinwendung<br />

Werfels zum Katholizismus (wenn er sich auch meines Wissens nicht wirklich taufen<br />

ließ) hatte natürlich mit seinem Judentum zu tun. Wirklich militant ignoriert haben<br />

ihr Judentum eigentlich nur die nach Osten emigrierten jüdischen Kommunisten.<br />

4) Treibgut und Babylon wurden in überaus viele Sprachen – etwa zwanzig –<br />

übersetzt – ‚Tatbestand‘ jedoch nur ins Französische und Holländische, angeblich<br />

wegen allzu großer Sprachschwierigkeiten, in Wirklichkeit aber wohl, weil der Osten<br />

über die Darstellung der Kommunisten und der Westen über die Darstellung des<br />

bundesrepublikanischen Partners sehr irritiert war. Im deutschen Sprachraum<br />

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