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StudienVerlag - Oapen

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Kultur-Dezernat des Berliner Magistrats und noch mancherlei. All das spielt<br />

einander aufs heiterste in die Hände, locker doch fest gefügt; es ist durchaus der<br />

Mühe wert, das Ganze einmal zu untersuchen. Über diese Gruppe 47 bleibt an<br />

sich nicht mehr viel zu sagen. Ich weiß nicht, warum man sich über die Leute<br />

erregt. Redliche Antinazis, junge Dichterlinge samt ein paar Dichtern – so taten sie<br />

sich nach dem Kahlschlag von 45 zusammen und lasen einander ihre Anfängerarbeiten<br />

– pardon ihre „Texte“ – vor. Fein. Warum nicht? Kann man den Zufalls-<br />

Ausfüllern eines Vakuums ernsthaft sagen: Ich mache es euch zum Vorwurf, daß<br />

ihr zu neun Zehnteln nicht Genies, sondern Würstchen seid? Das versteht sich<br />

ja doch von selbst. Und wichtig bleibt ja doch nur jenes eine Zehntel, mit dem es<br />

anders steht; das es in jeder Generation gegeben hat; das zufällig in einer Gruppe<br />

beginnen mag – es hätte auch sonst wo begonnen –, aber auf die Dauer nie in so<br />

einer Gruppe bleibt.<br />

Was wirft man den neun Zehnteln der anderen, der permanenten Grüpplinge<br />

eigentlich vor, was verlangt man von ihnen? Daß sie nicht in handgestrickten Pullovern<br />

dasitzen sollten, Brecht-frisiert, mit der Stummelpfeife im bedeutend und<br />

bitter herabgezogenen Winkel des herben Munds? Und wenn eine Bonner Persönlichkeit<br />

sie wegen eines harmlosen Manifestes politisch dämonisiert – sollten<br />

sie ausrufen: Verzeihung, Herr Dufhues, Sie dämonisieren uns grundlos, wir sind<br />

bloß die Würstchen? –<br />

Sie ranken sich aneinander empor? Was sonst sollten sie tun, mit dem aus dem<br />

Kahlschlag bezogenen Maßstab Null? All das ist doch putzig und durchaus liebenswert.<br />

Wer sich darüber aufregt, ist ein Würstchen-Dämonisierer im Literarischen –<br />

wie jener Bonner Reaktionär im Politischen.<br />

Maßstab Null – das ist das Schlüsselwort: „Mit mir, Anno 47, fängt die Welt an,<br />

was vorher war, ist nie gewesen.“ Es ist dieser Mangel an Maßstab infolge literarischer<br />

Ignoranz, der die redlichen Einandervorleser samt ihren Hauskritikern der<br />

Lächerlichkeit preisgibt. Dabei könnten sich Kritiker und Kritisierte ja doch sehr<br />

das Leben erleichtern, wenn sie es bloß wie bei den Landkarten hielten. Am Rande<br />

einer Landkarte findet man einen Maßstab, 1:50.000, 1:200.000. Warum nicht am<br />

Rande einer Rezension. Die zum Zirkus gehörenden Kritiker hätten ja doch erst den<br />

richtigen Spielraum, wenn sie über, sagen wir, den letzten Johnson entweder sagen<br />

könnten: „Ein bisher noch nie dagewesenes Monument des tragisch-dämonischen<br />

Ringens um die absolute Genauigkeit sprachlicher Meisterschaft“, und dazu am<br />

Rand: „Diese Kritik ist zu lesen nach dem Maßstab 1:500.000“ – oder: „Wacker<br />

geklöppelt, Johnson, eins glatt, eins verkehrt wie bei Großmuttern, das gibt ein<br />

hübsches Deckchen ab“, und dazu: „Maßstab immer noch 1:10“ – oder schließlich:<br />

„Dieses vierte bis zwölfte Buch der Mutmaßungen über die Stadtbahn einfach als<br />

Bockmist zu bezeichnen, geht nicht an, es liest sich immerhin so redlich und spannend<br />

wie das Protokoll eines Passierscheingespräches Ostberlin-Westberlin“ – und<br />

dazu: „Maßstab 1:1“.<br />

Mit derart deklarierten Maßstäben wüsste man doch, woran man ist. Wer ein<br />

Dichter werden soll, wird es trotzdem. Und anderen erspart es vielleicht viele Jahre<br />

des Irrens.<br />

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