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StudienVerlag - Oapen

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meine damit aber nicht einmal so sehr die Frage, was denn Ihre Jugendschützer<br />

individuell und persönlich im Dritten Reich getrieben haben – sondern was Ihre<br />

„Arbeitsstelle“, die ja damals schon rüstig existierte, kollektiv und als Institution<br />

in jenen Jahren getrieben bat. Von ihres Taten ist nichts bekannt – es sei denn,<br />

man betrachtet es als eine Tat, daß es ihr gelungen ist, als wohl einzige Hilfsorganisation<br />

Ihrer Kirche nicht verboten zu werden. Ob das, wenn nicht durch<br />

Taten, so doch durch Unterlassungen erkauft worden ist, wäre ein interessantes<br />

Befragungsthema, Eminenz. Wie steht es mit den aus Sadismus und Obszönität<br />

gemixten Ungeheuerlichkeiten des „Stürmer“? Der hing an allen Kiosken – und<br />

wie oft hat Ihr „Volkswartbund* protestiert? Und sollten Sie, Eminenz, erfahren,<br />

daß er nicht ein einziges Mal protestiert hat – sollte es unchristlich sein zu vermuten,<br />

es bestehe zwischen diesem Nichtprotestieren und Nichtverbotenwerden<br />

ein ursächlicher Zusammenhang?<br />

Das seien Geschichten aus der dunklen Vergangenheit, werden Ihre Funktionäre<br />

Ihnen vermutlich antworten. Gut, bleiben wir bei der Gegenwart. Sie werden<br />

aus dem Bisherigen die Vermutung geschöpft haben: Ich bin ein wenig anderer<br />

Ansicht als Ihr „Volkswartbund“ bezüglich dessen, was indiziert gehört und was<br />

nicht. Eine Darstellung des Liebeslebens der Seekühe, wie sie unlängst in einem vom<br />

„Volkswartbund“ inspirierten Antrag beanstandet wurde, scheint mir die Jugend<br />

nicht zu gefährden. Selbstmordgedanken mögen nach der Auffassung Ihrer Kirche,<br />

Eminenz, sündig sein, aber ihre Erwähnung in einem Buch zu verbieten, weil sie<br />

„der Hinführung zu Leistungs- und Lebensbereitschaft besonders abträglich sind“,<br />

wie das in einem niedersächsischen Antrag gefordert wird – das, Eminenz, geht<br />

ein wenig weit. Selbst die Darstellung entblößter Busen auf einem Bild Böttchers<br />

oder vier Millimeter hoher nackter Figuren auf einer Zeichnung in der Zeitschrift<br />

PARDON scheint mir ketzerischerweise weniger gefährlich zu sein, als das, was in<br />

jenem „Stürmer“ zu finden war.<br />

Und wie steht es jetzt mit der Wachsamkeit Ihrer Warte gegen diese Deutsche<br />

Gefahr, die – Sie und ich wissen es – vor allem eine Gefahr für die Deutschen ist?<br />

Wollen Sie Ihre „Arbeitsstelle“ fragen, wie viele Indizierungsanträge (neben Tausenden<br />

zum Seekühe-, Busen- und Selbstmordgedanken-Thema) auf ihre Initiative<br />

oder überhaupt in Deutschland je gegen sadistische Exzesse in Wort und Bild gestellt<br />

worden sind? Ich will Ihnen, Eminenz, im voraus die Antwort verraten. Es sind<br />

nicht ganz zehn in diesen letzten zehn Jahren.<br />

Und hier – wenn ich diese private und persönliche Bemerkung einflechten darf –,<br />

Eminenz, betrachte ich mich als „engagiert“. An der von Streichers „Stürmer“ über<br />

Auschwitz und Buchenwald in unsere Tage reichenden Gefährdung der deutschen<br />

Jugend habe ich ein Interesse. Ich bin ein Jude, und die Zahl meiner Verwandten,<br />

die an jenem Wege liegengeblieben sind, rangiert hoch in den zweistelligen Ziffern.<br />

Ich verlangte von Ihnen, Eminenz, mit allem gebührlichen Respekt, daß Sie Ihre<br />

Indizierer indizieren – es wäre denn, sie wendeten sich jetzt, heute, sofort gegen<br />

das, was so viel indizierbarer ist als ein entblößter Busen. Und wenn es Ihnen an<br />

aktuellem Material gebricht: hier ist ein konkreter Fall.<br />

Erinnern Sie sich, bitte, dazu der Einzelheiten, von denen eben jetzt im Auschwitz-Prozeß<br />

in Frankfurt die Rede ist. Erinnern Sie sich, bitte, dazu noch der<br />

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