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StudienVerlag - Oapen

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Abschied von Stefan Zweig (1961)<br />

ED/DV: Blätter der Internationalen Stefan-Zweig-Gesellschaft, Nr. 11/12 (1961), 1–4<br />

Am Tag bevor die Zeitungen die Nachricht vom Tode Stefan Zweigs brachten, hatte<br />

ich ihm einen Luftpostbrief geschrieben. Den bekam ich zurück, aus Brasilien,<br />

und um einiger Worte willen, die – offenbar von der Hand eines brasilianischen<br />

Postbeamten – in fehlerhaftem Französisch auf den Umschlag geschrieben wurden,<br />

will ich ihn ungeöffnet aufbewahren. Da steht: „Partie. Adresse inconnue.“<br />

Sentimentalen Erwägungen – etwa über die Vergänglichkeit irdischen Ruhms und<br />

derlei – will ich mich hier nicht hingeben; ich erwähne den Vorfall nur, weil er so<br />

gut zu Stefan Zweig paßt.<br />

Erstens hätten die Worte von ihm sein können – er hätte sie geschrieben, wie<br />

nur er, zur Freude und Erschütterung von Millionen Lesern, solches zu schreiben<br />

verstand. Und zweitens hätte er deren Inhalt auch erleben können. Er liebte es<br />

abzureisen. Sobald es irgendwo einen Lärm, ein Getue, eine Einmischung in seine<br />

Privatangelegenheiten gab, machte er sich, am liebsten heimlich, davon, nicht aber<br />

wie ein gejagter Schubertlied-Flüchtling, sondern als ein moderner Reisender von<br />

Distinktion und erst nachdem er unter Angabe seiner „adresse inconnue“ bei einem<br />

verläßlichen Menschen den vertraulichen Auftrag hinterlassen hatte, ihm seine<br />

riesige Post nachzuschicken. Es gibt manche unter uns, die eignen sich dazu, tot<br />

oder bei Lebzeiten (womöglich bei Lebzeiten) auf ein Piedestal erhoben zu werden;<br />

andere eignen sich dazu nicht, nicht einmal nach ihrem Tod. Es sind einfache,<br />

jedem Überschwang abholde Menschen – und ein solcher war Stefan Zweig in<br />

überzeugter, beinahe fanatischer Weise. Über ihn die üblichen feierlichen Worte<br />

zu ergießen, käme fast einer Beleidigung gleich, und so wollen wir lieber von ihm<br />

schreiben, als wäre dies nicht ein Abschied, sondern ein Artikel – etwa zur Feier<br />

seines sechzigsten Geburtstages.<br />

Wie erscheinen uns also, von diesem Blickwinkel aus gesehen, sein Werk und<br />

sein Leben? Man versteht ihn wohl am besten nicht im Rahmen des internationalen<br />

Ruhms seiner letzten Jahre – besser gesagt Jahrzehnte – sondern von seinem<br />

Ursprung her, im Rahmen der Welt, aus der er stammte. Er war geborener<br />

Österreicher, und Jude. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie. Nach dem<br />

Maßstab von Schriftstellern beurteilt, war er sein ganzes Leben lang ein reicher<br />

Mann. Er konnte seine Kost, sein Quartier, seine Verkehrsmittel, die Länder, in die<br />

er reisen wollte, nach Gutdünken wählen. Seinen ersten Gedichtband veröffentlichte<br />

er als Student. Es waren gute, geschliffene, vielleicht nicht gerade auffallende<br />

Gedichte – und das Buch wurde sofort ein großer Erfolg. Seit jenem Tag ist der<br />

Erfolg Stefan Zweig treu geblieben und zum Welterfolg geworden. Es gab Übersetzungen<br />

seiner Werke in viele Sprachen, es gab Ausgaben in Esperanto, in Kurzschrift,<br />

alle möglichen und erdenklichen Ausgaben. Da sein Erfolg wuchs, reiste er<br />

in die entsprechenden Länder – da er die Länder besuchte, wuchs sein Erfolg. Eine<br />

ungeheure Menge persönlicher Beziehungen erstreckte sich über die ganze Welt.<br />

Das Romantische und Österreichische in ihm ließ ihn alle diese Beziehungen als<br />

Freundschaften ansehen, und das meinte er aufrichtig, auf eine manchmal nicht sehr<br />

persönliche, nicht ganz und gar individualisierende Weise. Es gab wahre, dauerhafte<br />

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