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StudienVerlag - Oapen

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Mädchen wohin? (1933)<br />

Sammelrezension: „Viktoria Wolf: Mädchen wohin?“,<br />

„Lili Grün: Herz über Bord“, „Hilde Spiel: Kati auf der Brücke“<br />

ED/DV: Neue Freie Presse, 7.7.1933<br />

Es geht hier um Frauenliteratur – und dieses Thema ist von vornherein einigermaßen<br />

heikel. Denn man riskiert, sich die Sympathien breiter Kreise, besonders weiblicher<br />

Leserschaft zu verscherzen, wenn man offen bekennt, daß man die gemeinhin<br />

von Frauen produzierte Literatur, ein Halbdutzend weltliterarischer Ausnahmen<br />

ausgenommen, bei allem Wohlwollen doch nicht ganz vollwertig anzuerkennen<br />

vermag. Gott helfe mir, ich kann nicht anders. (Und der Mann, der mir nicht beistimmt,<br />

ist mir verdächtig.)<br />

So hätte man es mit seiner Meinungsbildung leicht – begänne nicht eben hier<br />

erst das eigentliche Problem. Denn das negative literarische Urteil hat seine Kehrseite:<br />

Sind die Frauenbücher (von jenen sechs oder in Gottesnamen zwölf Ausnahmen<br />

immer abgesehen) „literarisch“ unerheblich – sie sind um so erheblicher als<br />

Dokument. Ich glaube, die Frau ist in einer tieferen Schicht phantasielos. Auch als<br />

Lügnerin phantasiert sie nicht, sondern sie kombiniert nur reale Gegebenheiten –<br />

will sagen: sie ist eine gute Lügnerin, denn sie lügt plausibel. Mit anderen Worten:<br />

sie ist nicht produktiv. Zwingt man sie (oder zwingt sie sich), produktiv zu sein, das<br />

heißt schreibt sie etwa einen Roman, so surrogiert sie, gute Lügnerin und schlechte<br />

Dichterin, die sie ist, „Erphantasiertes“ durch Erlebtes (oder Erträumtes, was auf<br />

dasselbe hinausläuft). Und man wird, auch ohne Psychoanalytiker zu sein, jenseits<br />

aller literarischen Betrachtung die Existenzberechtigung der Frauenliteratur damit<br />

als gegeben erachten. Sie ist das document humain, das uns gemeinhin ohne Ohrenbeichte<br />

oder psychotherapeutisches Studio zur Verfügung steht.<br />

***<br />

Habe ich gesagt: Dokument? Dann wollen wir die Sache noch von einer anderen<br />

Seite ansehen. Es gibt stofflich spielerisch veranlagt, noch ein Aesthet, noch auch<br />

ein Mystiker sein, um eine gewisse Periodizität dieser Schwankungen zwischen Stoff<br />

und Form in der Geistesgeschichte, also auch in der Literaturgeschichte der letzten<br />

zwei Jahrtausende herauszuspüren. Jedenfalls: unsere Zeit ist (im Gegensatz zum<br />

Beispiel zum Aesthetizismus der Vorkriegsperiode) eine typische „Stoffzeit“. Primitiv<br />

gesprochen: sie würgt an ihrem Stofferlebnis (Krieg – Nachkrieg) und kommt<br />

damit nicht an den Rand. Nun hat aber jeder Produktive außer seiner „poetischen“,<br />

seiner „ewigen“ Aufgabe auch eine zeitliche: Zeugnis abzulegen, Zeuge zu sein.<br />

Als jener Poet Plinius Zeuge des Unterganges der Stadt Pompeji wurde, schrieb er<br />

zunächst einmal nicht Lyrik, sondern den Untergang der Stadt Pompeji. Aus ganz<br />

verwandten Gründen kommt es in unserem Weltuntergang, in unserer Stoffzeit zu<br />

einer nie gekannten Blüte der Dokumentenliteratur. (Die reaktiv, schon wieder eine<br />

neue Romantik hervorbringt; worüber einiges zu sagen wäre.)<br />

Jedenfalls also: Dokumentenliteratur als Forderung dieser Zeit. Wie findet sich<br />

die zum Schreiben aufgerufene (oder sich aufrufende) Frau mit dieser Forderung<br />

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