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StudienVerlag - Oapen

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Dieser jüdische Judenwitz nun stellt eines der seltsamsten und schwerst zu<br />

begreifenden Phänomene in der Geistesgeschichte eines Volkes überhaupt dar.<br />

Auch die Franzosen, auch die Berliner sind witzig. Daß aber eine Gemeinschaft mit<br />

einer geradezu dämonischen Konsequenz sich selbst zum Ziel ihrer Witze macht,<br />

ist ein Unikum. (Man stelle sich einen Franzosen vor, der in einem Witze Frankreich<br />

herabsetzt!) Dabei wäre all das noch leichter verständlich, wenn die Juden in<br />

Dingen des Judentums etwa besonders gutmütig oder indolent wären. Aber das<br />

gerade Gegenteil trifft zu. Allerdings – mit einer wichtigen Einschränkung. Denn<br />

protestiert der Jude gegen jede nicht jüdische Aggression auf das Judentum mit aller<br />

Leidenschaft – für die Aggression des Juden auf das Judentum hat er Verständnis.<br />

Das ist nicht etwa eine Inkonsequenz. Denn zwischen Antisemitenwitz und jüdischem<br />

Judenwitz gibt es – außer dem qualitativen – noch einen sehr wesentlichen<br />

grundsätzlichen Unterschied. Ist der Antisemitenwitz (soweit er nicht glattweg<br />

stumpfsinnig ist) eine eindeutige Aggression – der jüdische Judenwitz ist in jedem<br />

einzelnen Falle Aggression plus (verdrängte oder umgewertete) Verteidigung, also<br />

doppelwertig, ambivalent, Liebe und Haß, Lob und Tadel in einem. Diese Haßliebe<br />

eines Menschenschlages mit überscharfen Augen und überhellen Gehirnen macht<br />

den Judenwitz erst verständlich. Witze wie dieser:<br />

Mandelbaum soll der von ihm verehrten Filmdiva einen Schoßhund kaufen.<br />

Der Hundehändler demonstriert: „Dieser kleine Wachtelhund kostet 2000<br />

Mark, dieser Zwergspitz ist noch kleiner und kostet 3000 Mark, und dieser<br />

ganz kleine Rehpintscher, der kleinste, den ich überhaupt habe, kostet 5000<br />

Mark.“ Da sagt Mandelbaum; „Entschuldigen Sie, was kostet bei Ihnen gar<br />

kein Hund?“<br />

Witze also wie dieser sind, so „jüdisch“ sie sein mögen, noch nicht die eigentlichen<br />

Judenwitze. Sie sind nicht ambivalent. Sie sind noch zu sehr getragen von der eindeutigen<br />

und ungespaltenen Freude am guten Funktionieren eines logischen und<br />

doch wieder nur pseudologischen Apparates, wie nur Jahrtausende altes Talmudstudium<br />

ihn hochzüchten konnte. Und auch Witze wie dieser:<br />

Ein Jude fährt in der Eisenbahn. Jünglinge mit dem Hakenkreuz steigen ein<br />

und wollen ihn provozieren, indem sie ununterbrochen „Hoch Hitler!“ schreien.<br />

Der Jude reagiert nicht. Schließlich steigen die Jünglinge aus und schreien noch<br />

einmal vom Perron aus „Hoch Hitler!“ Da tritt der Jude ans Fenster und sagt<br />

bescheiden: „Sie verwechseln mich, meine Herren – ich bin gar nicht Hitler.“<br />

Auch Witze, sage ich, wie dieser, repräsentieren insofern noch nicht den reinen<br />

Judenwitz, als ihre Objekte ausnahmsweise nicht Juden sind, sondern Repräsentanten<br />

der ambivalenten Selbstbeobachtung.<br />

Welche Fehler des Juden behandelt dieser Witz? Was kritisiert er? Was stellt er in<br />

Frage? – Sichtet man das Material, so fühlt man sich fast versucht, zu formulieren:<br />

Was stellt er nicht in Frage? Immerhin – es läßt sich gruppieren. Man lese:<br />

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