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StudienVerlag - Oapen

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es nicht mehr hören. Wir haben keine Zukunft. Sie werden uns Almosen geben,<br />

aber nicht Arbeit. Uns lassen sie verrecken, mit uns ist’s aus.<br />

Meine Freunde, jene Verzweiflung damals, dort und anderswo und überall – das<br />

ist gar nicht so lange her. Ich werde Ihnen nicht sagen, wie kurz es her ist. Aber ich<br />

werde Ihnen eine andere Geschichte erzählen, die mir vorige Woche passiert ist. Das<br />

war letzten Dienstag. Ich hatte jemanden abzuholen vom deutsch-österreichischen<br />

Arbeitsamt, drüben in Holborn. Ich wollte die Treppe hinaufgehen – da kam mir ein<br />

Rudel junger Mädchen entgegen, schnatternd. Verzeihung, sie sind wahrscheinlich<br />

alle hier im Saal. Prachtvolle Mädel, achtzehn-, neunzehn-, zwanzigjährig. Sie haben<br />

wienerisch gesprochen. Mich sehen und auf mich zu, war eins. Da stand ich – ich<br />

bin mir noch nie im Leben so arretiert vorgekommen. Und das will etwas besagen,<br />

in dieser Zeit. Ob ich ein Oesterreicher bin. Dann muss ich ihnen jetzt, sofort eine<br />

Karte abkaufen. Zu einer Versammlung am 24., in der Porchester Hall! Meine Herrschaften,<br />

ich bin ein sparsamer Mensch, ich habe mir gedacht, vielleicht werden sie<br />

mich hier doch auch so hineinlassen. Nein, danke, habe ich gesagt. Da sagte eine<br />

von den Mädeln, hochdeutsch: „Sind Sie denn nicht ein freier Oesterreicher? Wollen<br />

Sie denn nicht ein freier Mensch sein?“ – Ich weiss, es war ein wenig lächerlich und<br />

wahrscheinlich hat es ihnen der Kartenverkaufsdiktator so eingegeben. Aber ich war<br />

sehr ergriffen, wie sie da so um mich gestanden sind – ohne Hüte natürlich, wozu<br />

denn auch Hüte, sie waren ja zu Hause, das Haus hat ihnen gehört, High Holborn<br />

hat ihnen gehört, die ganze Welt hat ihnen gehört!<br />

Das ist meine Geschichte, und die des Free Austrian Movement. Eine politische<br />

Bewegung? Es ist, glaube ich, etwas weniger als eine politische Bewegung – und sehr<br />

viel mehr. Ich bin dann noch dort auf der Treppe gestanden und habe mir die Menschen<br />

angeschaut. Was jene Flüchtlingsgesichter von 1938 anders gemacht hat, das<br />

ist nicht eine Sache der Politik. Was heisst denn das: Emigrant sein. Emigrant sein,<br />

heisst einsam sein. Und da stehen wir nun mit einem Mal und sind nicht einsam.<br />

Und sind nicht mehr allein, sind eingereiht in das Marschieren einer grossen Armee.<br />

Oesterreich, Wien, sagen wir, und der neben uns sagt vielleicht Prag und meint<br />

dasselbe. Und der andere dort meint dasselbe und nennt Shanghai oder Smolensk.<br />

Sehen Sie es gibt einen Strom des Lebens, dieser Strom des Lebens hat uns nicht<br />

mehr getragen seit jenen Märztagen im achtunddreissiger Jahr. Und jetzt plötzlich<br />

hebt sich unter uns allen wieder die Welle. Geben wir uns keiner Täuschung hin.<br />

Es ist eine kleine Welle und sie trägt uns noch lange nicht. Aber sie wächst! Der<br />

Widerschein ihres Wachsens liegt schon auf den Gesichtern der Jungen.<br />

Das ist, Freunde, wie ich es sehe, der Sinn unseres Zusammenseins heute hier<br />

in dieser Halle. Ohne jenen Widerschein, ist das hier ein Verein mehr. Mit ihm ist<br />

es das Leben selbst.<br />

Über die „Grosskundgebung“ berichtet der „Zeitspiegel“ am 31.1.1942: „Robert Neumann<br />

verlas eine Botschaft des Free Austrian Movement an Premierminister Churchill,<br />

in der die Österreicher Mr. Churchill für seine Feststellung, Österreich sei das erste<br />

Opfer der Nazibarbarei gewesen, dankten und sich zur vollen Unterstützung des<br />

Kampfes Großbritanniens und seiner Alliierten verpflichteten.“<br />

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