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StudienVerlag - Oapen

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und 9 Nichtjuden“, wie Lektor Gunter Groll in seinem Gutachten über das „eher<br />

schwarze Buch, mit nur wenig Licht“ vermerkt, allerdings: „Es ist nie Schwarz-Weiß,<br />

das der Autor malt, alles ist vieldeutiger, komplizierter, relativer.“ Diese „große<br />

Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit, aber auch mit der Gegenwart“ ist<br />

„sicher einer der bedeutendsten Romane des Autors“.<br />

Fast alle Personen des Buches verdrängen oder beschönigen ihre Erinnerungen<br />

zum „guten Glauben“, dass sie recht gehandelt haben oder doch nicht anders<br />

gekonnt hätten und jedenfalls schuldlos seien, oder sie agieren mit taktischen<br />

Nebenabsichten (wie der DDR-Staranwalt Igel). (Siehe dazu: „Der gute Glaube der<br />

Deutschen. Voraus-Information“ [1965] in diesem Band.)<br />

Die von RN erhoffte breite Resonanz hat der Roman nicht gefunden – trotz einiger<br />

von der Humanistischen Studentenunion organisierter Podiumsdiskussionen<br />

in Berlin, Hamburg und anderen Universitätsstädten. „Kein anderer kann heute<br />

das, was dieser alte Meister, dieser alte Hexenmeister kann“, schreibt „konkret“-<br />

Kolumnist Sebastian Haffner als (untypischer) „dankbarer Leser“ über „Tatbestand“<br />

und „Tagebuch“.<br />

Stellvertretend für Rezensenten-Vorbehalte sei hier ein „verständnisvoller“<br />

Beitrag von Hans Albert Walter (im Hessischen Rundfunk) erwähnt, in dem Eingemeindung<br />

und Ausgrenzung Hand in Hand gehen. Er verzichte auf einen „Verriss“,<br />

„gerade weil es wichtiger ist, das Versagen dieses Autors bei diesem Thema<br />

zu analysieren“. Der Roman sei „als in sich geschlossene Komposition […] ohne<br />

Zweifel auch zu bewundern“. Viele der Figuren „sind leider deutsche Wirklichkeit<br />

des Jahres 1965. Aber, und das ist die entscheidende Frage, sind sie die Wirklichkeit?<br />

Und hier versagt das Buch […] Um wirklich einen ‚Schicksalsteppich der<br />

Deutschen‘ zu zeigen, hätte es eine breitere Darstellung gebraucht, sowohl was das<br />

Panorama der Personen, als auch was die Komplexität des Geschehens angeht.“<br />

RN sei „das Deutschland von 1965 eben doch nicht von Grund auf vertraut“, er sei<br />

„auf der Strecke geblieben“ als Angehöriger einer „Generation, die ohne eigenes<br />

Verschulden, ja gegen ihren Willen ausgesperrt blieb“. Und: bei den auf Hannah<br />

Arendt und Friedrich Karl Kaul anspielenden Figuren sei RN „nicht nur unter sein<br />

Niveau gegangen, er kämpft auch unterhalb der Gürtellinie.“ (Andere Interpreten<br />

nehmen Reich-Ranicki vor dem als „schäbig“ apostrophierten Sahl-Sobieski in<br />

Schutz oder lesen neuerdings den „Tatbestand“ gar als Vorläufer von Walsers „Tod<br />

eines Kritikers“.) Zwar hat sich RN die unerreichbare Messlatte des Romans der<br />

Deutschen selbst aufgelegt, doch wie lesbar wäre ein Roman, der vor Walters Forderung<br />

(ebenda) nach „repräsentativer“ Darstellung „einer unendlich komplizierten,<br />

in ihren Ursachen und Bedingtheiten unauflöslich verstrickten Wirklichkeit“ mit<br />

allen und vollständigen „Zusammenhängen sachlicher, politischer, historischer und<br />

gesellschaftlicher Art“ nicht versagt?<br />

In einem „Interview mit sich selbst“ (in: Die Welt, 25.11.1965) hat RN „Tatbestand“<br />

als „Deutschenspiegel“ und „Judenspiegel“ charakterisiert; tatsächlich ist<br />

der komplexe Roman darüber hinaus ein Brennspiegel, in dem das breite Themenspektrum<br />

des politisch-publizistischen Akteurs RN literarisch gebündelt wird. Im<br />

Werk von RN

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