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StudienVerlag - Oapen

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An Michael Neumann<br />

Haus Bühlegg, Bern, 14.6.1974<br />

Hs. o. U. (!), ÖNB<br />

Mein geliebtes Kind,<br />

ich muß Dir von meinem Zustand berichten. In Locarno konnten mir die Leute<br />

nicht helfen, so schickten sie mich zu einem berühmten Spezialisten in Bern. Der<br />

verdächtigte meine Zähne, ließ mir sieben Zähne ziehen und entdeckte, ich hatte<br />

eine alte Virusinfektion – „waren Sie vielleicht mal in den Tropen?“ Sie wollten mich<br />

ans Tropische Institut in London weiterschicken, züchten aber jetzt für mich ein<br />

spezielles Antibiotikum, das mir sechs Wochen lang jeden Tag eingespritzt werden<br />

soll. Das heißt: wir werden nicht vor August in Locarno sein können.<br />

Das heißt weiter: Du wirst Dein Abitur ganz ohne „elterlichen Zuspruch“<br />

machen müssen, ganz auf Dich selbst gestellt<br />

Die Diagnose – Tonsillar-Karzinom – war RN seit Mai 1974 bekannt.<br />

Nach der Chemotherapie von RN in Bern treffen die Neumanns die Entscheidung,<br />

eine Mietwohnung in München zu suchen. So schreibt Luiselotte Enderle in ihrem<br />

Dank für die „lieben teilnehmenden Worte“ nach dem Tod Erich Kästners („Todesurteil:<br />

Speiseröhrenkrebs“) in einem Brief vom 15.9.1974 (ÖNB): „Ihr zieht nach München. Auf<br />

Borg. Das freut mich sehr. So kann ich Euch öfter hören und sehen. Dann – auf bald!“<br />

Nach ihrem Eintreffen in München schreibt Helga Neumann an den „lieben ganzen<br />

Piper-Verlag“ am 14.12.1974 (DLA A: Piper): „Robert Neumann und ich danken Ihnen<br />

ganz herzlich für den schönen Blumengruß zu unserem Neu-Anfang in München, die<br />

erste sozusagen ‚Dekoration‘ in einer halbfertigen Wohnung, in der es – ein Novum bei<br />

Neumanns – gähnend leere Bücherregale gibt. Wir beide hoffen sehr, Sie, Herr Doktor<br />

Piper, bald einmal zu sehen und Ihrem Verlag einen Besuch abstatten zu können – das<br />

aber erst, wenn es meinem Mann besser geht. Im Moment sieht es nicht gut aus.“<br />

Robert Neumann stirbt am 3.1.1975. Er wird in aller Stille auf dem Friedhof München-<br />

Haidhausen beigesetzt (Grabstätte 6-7-59; hier ruht auch Helga Neumann-Heller,<br />

verstorben am 24.6.1976).<br />

In etwa 100 Zeitungen sind (meist kurze, auf einem dpa-Text basierende) Nachrufe<br />

erschienen, durchwegs („wie erst jetzt bekannt wurde“) am 7.1.1975. Die Umstände<br />

seines Todes werden nicht publik; eine ahnungsvolle Formulierung wählt lediglich<br />

Hermann Kesten (in: Süddeutsche Zeitung, 8.1.1975): „Der Tod paßt nicht zu ihm. Es<br />

sieht aus, als hätte man ihn mitten in der besten Geschichte unterbrochen. Wie er nun<br />

sich selber abhanden gekommen ist, so ist er auch der zeitgenössischen deutschen<br />

Literatur abhanden gekommen, und fehlt ihr schon, wie das Salz der Suppe.“<br />

Die folgende Mitteilung aus dem engsten Familienumkreis an Franz Stadler stammt<br />

vom 22.12.2006: „Robert nahm sich am 3en Januar 1975 das Leben. Soweit ich es beurteilen<br />

kann (ich war damals zu Besuch in Muenchen) war er zwar medizinisch geheilt,<br />

jedoch zu schwach und zu demotiviert, um an einen neuen Anfang zu glauben.“<br />

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