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StudienVerlag - Oapen

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Paul Frischauer: Das Herz im Ausverkauf. Novellen. Wien 1929<br />

ED/DV: Die Literatur 31 (1928/29), S. 606<br />

Ich kenne Frischauers Dürer-Roman nicht – aber er muß um ein beträchtliches<br />

schwächer sein als dieses neue Buch: sonst hätte Frischauers Name heute schon<br />

einen ganz anderen Klang. Nun das wird nachgeholt werden. Ich prophezeie diesem<br />

„Herz im Ausverkauf “ einen starken und lange dauernden Pulsschlag – soweit man<br />

drei Novellen überhaupt und bei menschlich zarten und psychologisch vertieften<br />

Arbeiten im besonderen solche Prophezeiung heutzutage auf sich nehmen kann.<br />

„Herz im Ausverkauf “ – ein allzu kesser Titel für dieses stille und kultivierte Buch.<br />

„Aufruhr der Phantasie“ heißt eine der vier Arbeiten – und so könnten sie alle vier<br />

betitelt sein. Denn alle sind sie gewissermaßen fünfundsiebzigprozentig, alle steigern<br />

sie sich, aus vielen und melodisch lauteren Quellen kunstvoll und bedeutend<br />

zusammenströmend, zu einer Dreiviertel-Realität – und bleiben da stehen: das vierte<br />

Viertel, die Lösung dieser Dreiviertel-Wirklichkeit in Traum und Gedanke, bleibt<br />

(mit Vorzug und Nachteil) Frischauers eigentümlichste Leistung. Und wie dieser<br />

Titel „Aufruhr der Phantasie“ in einem Buch Stefan Zweigs figurieren könnte, so<br />

ist dieser ganze, zu einer selten hohen Kultiviertheit durchgebildete Novellenstil<br />

an Zweig geschult und steht diesem Dichter in einem Stück wie „Der Dritte“ kaum<br />

mehr nach. Mancherlei läßt sich noch einwenden. Man begrüßte eine noch pfleglichere<br />

Behandlung der Sprache und ihre Entlastung von entbehrlichem Fremdwort<br />

(„der Gedanke perseverierte in seinem Hirn“, steht da etwa zu lesen), man begrüßte<br />

da oder dort (und vor allem in der Titelnovelle) eine höhere Ökonomie und Zielgerichtetheit<br />

der Komposition – aber alle diese Einwände haben erst statt, wenn man<br />

zunächst einmal das hohe Niveau der Gesamtleistung anerkannt hat. Man sollte<br />

jeder Kritik den Maßstab beigeben wie einer geographischen Karte – ich weiß nicht,<br />

wer mir das einmal gesagt hat. Man lese also 1:1, in natürlicher Größe: Wir haben<br />

einen neuen Novellisten von Rang.<br />

Schalom Asch: Die Mutter. Roman. Wien [o. J.]<br />

ED/DV: Die Literatur, 31 (1928/29), S. 609<br />

Weg einer Familie aus ostjüdischem Getto in das Getto Newyorks. Von Getto zu<br />

Getto. Kein Blick, der aus dem bedrückenden und bedrückten Bezirk hinausfiele<br />

in die Welt, als gäbe es außerhalb dieser Mauern keine Landschaft, keine Menschen,<br />

keine Atemluft. Das ist das Getto-Programm. In seiner Enge vollzieht sich<br />

kleinbürgerlich und naturwahr das Schicksal, beschaulich humorvoll, beschaulich<br />

tragisch – und da und dort geschwängert mit der selbstbewußten Demut und<br />

erhabenen Narretei des goldenen jüdischen Familienherzens. Eine sentimentale<br />

Apotheose, eine Apotheose der Sentimentalität. Will sagen: Das Buch wird seine<br />

Leser finden.<br />

Und das doch nicht so ganz mit Unrecht. Denn trotz aller Milieubeengtheit –<br />

Schalom Asch, der (trotz Wassermann, Werfel und zwei Dutzend anderen) „der<br />

größte jüdische Erzähler der Gegenwart“ genannt wird, ist ganz zweifellos tatsächlich<br />

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