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StudienVerlag - Oapen

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Besessenheit. Und damit sind wir nach dem sachlichen Problem der Reportage<br />

beim persönlichen Problem des Reporters angelangt.<br />

Richtiger: beim Problem des Nicht-Reporters. Denn es muß leider gesagt werden,<br />

daß die Majorität der Reportagen schreibenden Journalisten, durch einen Zufall<br />

in ihr Metier und durch einen weiteren Zufall in diesen besonderen Zweig ihres<br />

Metiers verschlagen, ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind. Der Durchschnittsjournalist,<br />

ausgesandt, das Einmalige eines Ereignisses berichtend festzuhalten, hilft<br />

sich, unfähig, das Besondere der Sache zu finden, mit einem Surrogatakt: er bietet<br />

das Besondere seiner Person. Nach Art jener üblen Krankenpflegerin, die, über das<br />

Befinden des Patienten befragt, zur Antwort gibt: die ganze Nacht habe ich nicht<br />

schlafen können, so sehr hat er geschrien vor Schmerzen – berichtet er nicht die<br />

Sache, sondern wie die Sache auf ihn gewirkt hat. Unversehens schiebt sich vor den<br />

uns interessierenden Vorgang die uns nicht interessierende Person des Reporters<br />

Meier vom Abendblatt; und der wird uns kaum interessanter dadurch, daß er – ihm<br />

ist kein Spiel zu hoch – seinen Bericht darüber, wie die und die Feuersbrunst ihn<br />

erschreckt hat, nicht schließen kann ohne eine allgemeine Betrachtung über Feuersbrünste,<br />

über Unglück, über das Schicksal schlechtweg, einmündend zu gutem<br />

Ende in den Gedanken: „Was ist der Mensch …?“<br />

Um weiter von diesen Quasi-Reportern zu reden (und von ihnen muß geredet<br />

werden, um die Diskrepanz zwischen der hier angedeuteten Theorie der Reportage<br />

und dem praktisch Tag für Tag in Durchschnittszeitungen Gebotenen verständlich<br />

zu machen) – diese Quasi-Reporter also scheiden sich deutlich in zwei Gruppen: in<br />

Neulinge und Routiniers. Man schicke einen jener Neulinge, einen jener Blasierten<br />

und als dritten einen jener drei Dutzend wirklichen Reporter nach Paris, mit der<br />

Aufgabe, über die große Automobilausstellung zu berichten! Die unterschiedliche<br />

Linienführung ihrer Reportagen wird das was hier über Differenz und Abweg zu<br />

sagen ist, besser erhellen, als jeder theoretische Exkurs.<br />

Der „Wirkliche“ wird beginnen: „Die große pariser [sic] Automobilausstellung<br />

des Jahres 1926 ist untergebracht auf dem Gelände südöstlich der Père Lachaise, in<br />

zweiundvierzig Pavillons, die nach Plänen des Architekten Le Corbusier innerhalb<br />

dreier Wochen erbaut wurden.“ Daran schlösse sich Ziffer um Ziffer, Name um<br />

Name, und aus einem Berg präziser Fakten wüchse die plastische Nüchternheit<br />

dieses besonderen Lebensbezirkes.<br />

Anders die Neulinge. Er setzt nichts voraus. Wie er, ins Theater geschickt, am<br />

liebsten Anreiz und Mechanik des eisernen Vorhangs schilderte, ehe er auf die<br />

Premiere zu sprechen kommt, wird er es sich nicht versagen, für den Leser das<br />

Erlebnis dort beginnen zu lassen, wo das Besondere seines eigenen Erlebnisses<br />

beginnt. Und das beginnt ihm schon bei der Abreise, am Perron vor dem pariser<br />

Zug, beim Tücherschwenken der Zurückbleibenden (Motto: „Paris …!“), zur Darstellung<br />

der Automobilausstellung selbst fehlt es ihm dann an Platz, Auge und Hirn.<br />

Dabei erfühlt er, die hoffnungslosesten Stümper ausgenommen, das Abwegige dieser<br />

subjektiven Erlebnis-Paraphrasen, und da er dennoch nicht von ihnen zu lassen<br />

vermag, hängt er um sie das Mäntelchen einer halben Selbstironie.<br />

Ganz anders der Routinier. Was der Neuling, ist er gewitzter, als Abweg nur<br />

erahnt, ist ihm in voller Klarheit bewußt. Aber bewußt ist ihm auch, daß er an<br />

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