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StudienVerlag - Oapen

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Die schönste Situation in meinen Büchern (1932)<br />

[Antwort auf eine Umfrage]<br />

ED/DV: Die literarische Welt, 8. Jg. (1932), Nr. 27, S. 4<br />

Meine „gelungenste Situation“? Diese Frage scheint mir, soweit Sie sie an Epiker<br />

gerichtet haben, auf einem grundsätzlichen Mißverständnis zu beruhen. Das Drama<br />

macht den Handlungskörper zugänglich. indem es ihn mittels einer Reihe von<br />

Querschnitten „tranchiert“; es bietet also Situationen und läßt den Bericht des vor<br />

Stückbeginn und während der Zwischenakte Geschehenen (Exposition; mehr oder<br />

minder geschickt mit einfließen. Dem gegenüber legt die Epik durch den Handlungskörper<br />

einen Längsschnitt: sie beginnt mit A und endet mit Z. Genauer; so war<br />

es, solange die Epiker ihre Formgesetze kannten und ihnen zu entsprechen fähig<br />

waren. Die Betonung des Situationsmäßigen. der Szene, läuft dem Postulat eines<br />

gleichmäßig tempierten Handlungsablaufs zuwider. (Klassisches Beispiel: Goethes<br />

„Novelle“ mit ihrer bewußt zu höheren epischen Zwecken aufs äußerste abgedämpften<br />

Brandschilderung). Während also der Dramatiker seine Spannungselemente<br />

aus der Situation zu ziehen hat, hat sie der Epiker aus dem Handlungsablauf selbst<br />

zu schöpfen. Als die Epik auf den Hund kam und den „Romanciers“ nichts mehr<br />

einfiel, begannen sie ihr Defizit an Handlungs-Spannnung à tout prix auszugleichen,<br />

indem sie Handlung durch Situation surrogierten, Daher der Typus unseres<br />

Durchschnittsromans: Kapitel I: spannende Situation, um das Interesse des Lesers<br />

„aufzureißen“ – also etwa Rencontre Kurt von Wustrows mit dem Belästiger einer<br />

Dame in einem Eisenbahncoupé, und Kapitel II: nachdem die Statisten dieser Szene<br />

ausgestiegen oder sonst irgendwie aus dem Blickfeld geschafft worden sind, schaut<br />

Kurt von Wustrow zum Fenster des fahrenden Abteils hinaus, und während die<br />

Telegraphendrähte an ihm vorüberflitzen, zieht sein früheres Leben an ihm vorbei.<br />

Also Kapitel I: Situation, und Kapitel II – Exposition. Sie sehen: die verfallende Epik<br />

macht beim Drama ihre Anleihen.<br />

Von hier aus betrachtet möchte ich mich dagegen verwahren, überhaupt jemals<br />

Situationen geschaffen zu haben. Richtiger: ich wollte, ich könnte mich dagegen verwahren.<br />

Ich könnte es nicht, aber Schuld daran trägt nicht ein Mangel an Kenntnis<br />

epischer Gesetzmäßigkeiten, sondern die immanente Widersinnigkeit des Romans<br />

als Kunstform, Er ist ein Spätprodukt, gemischt aus epischen, dramatischen und<br />

lyrischen Komponenten, profillos, kompromißlerisch und zutiefst suspekt. Aber<br />

das ist ein weites Thema – lassen Sie mich hier schließen.<br />

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