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StudienVerlag - Oapen

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406<br />

schändliche Vergangenheit wiedergutmachen, indem man die Opfer von gestern<br />

heute in Watte packt.<br />

Das schien mir eine gefährliche Fehlentwicklung zu sein von Anfang an. Es gab<br />

nur eine Möglichkeit, dem endemischen deutschen Judenhaß entgegenzuwirken.<br />

Sie war und ist, daß man uns Juden unter den Deutschen keine Sonderbehandlung<br />

angedeihen läßt – nicht die Himmlersche noch die aus dem edelsten schlechten<br />

Gewissen geborene, die uns wie rohe Eier behandeln will. Nietzsche sagt: „Schlechte<br />

Eigenschaften hat jede Nation und jeder Mensch; es ist grausam zu verlangen, daß<br />

die Juden eine Ausnahme machen.“ Ich füge hinzu: nur die Dummköpfe unter<br />

uns verlangen das. Wir sind keine Engel; so wenig wie alle anderen. Das einzige<br />

Recht, das ich für uns Juden in Anspruch nehmen will, ist das Recht auf unsere<br />

Sünden: falsch zu parken wie jene anderen; nachher den müdegefahrenen Wagen<br />

samt seinen heimlichen Mängeln einem unglückseligen Käufer anzudrehn wie jene<br />

anderen; nachts auf der Straße betrunken zu randalieren, oder meinetwegen sogar<br />

Raub und Totschlag zu begehen wie jene anderen – und trotzdem von jenen anderen<br />

bloß zu hören: der Meier hat es getan; nicht der Jude Meier hat es getan, alle<br />

Juden haben es getan, alle Juden sind Raubmörder, randalieren auf der Straße und<br />

parken die Autos falsch.<br />

Hat sich an diesen Sachverhalten etwas verschoben durch das, was in diesen<br />

letzten Jahren im Nahen Osten geschehen ist? Ich glaube: nein. Zwar schlug der<br />

„romantische“ Philosemitismus in Westdeutschland, wie zu erwarten war, zunächst<br />

hohe Wellen; aber je deutlicher jener reaktionäre Zeitungs-Zar mit Hilfe einiger<br />

reaktionärer Juden den Sechstagesieg der Israelis in einen Privat-Triumph seiner<br />

Firma über den Weltkommunismus umzudeuten bemüht war, desto deutlicher<br />

klärte sich der Blick der Besonnenen, Jud’ wie Christ.<br />

Ich meine da nicht einfach die APO-Sympathie für die Palästinenser – die wahrhaft<br />

Verschaukelten in diesem Nahost-Konflikt. Sieht man es nüchtern an: Wie wir<br />

Juden ein Recht auf unsere Sünden haben, so haben wir genauso wie die „Arier“<br />

im Haus nebenan ein Recht auf unsere Chauvinisten, Militaristen, Annexionisten,<br />

Faschisten. Die in Israel sind lautstärker, als sie zahlreich sind: das zu hoffen, bin<br />

ich ingrimmig entschlossen, immer noch; und jedenfalls sind sie so wenig identisch<br />

mit Israel, wie Israel identisch ist mit den Juden in aller Welt.<br />

Und was diese Juden in aller Welt betrifft, so sind sie heute wie nun schon seit<br />

Jahrzehnten vor die Entscheidung gestellt, die Hefe im Teig der Völker zu bleiben wie<br />

seit zweitausend Jahren – oder diese Funktion und metaphysische Aufgabe einzutauschen<br />

gegen das Bürgerrecht eines best-funktionierenden, westlich-modernsten<br />

Kleinstaates am Ostufer des Mittelmeers.<br />

Es gibt einige unter uns – denen fällt die Wahl nicht schwer.<br />

Und nun wollte ich doch von mir selber sprechen – und sprach statt dessen<br />

von meinem Volk. Zu dem ich mich bekenne. Nicht ohne Stolz – wenn man mir<br />

denn diese un-weltbürgerliche, allzumenschliche, unstatthaft romantische Regung<br />

ausnahmsweise und aus besonderem Anlaß verzeihen will.

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