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StudienVerlag - Oapen

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Schlusswort auf dem 27. PEN International-Kongress<br />

in Wien 1955 (Entwurf)<br />

DV: Ms., ÖNB 21.562/2<br />

Herr Minister, meine Damen und Herren!<br />

Wie Sie meiner Ansprache wahrscheinlich schon entnommen haben, bin ich ein<br />

alter Engländer. Ich stehe genau in der Mitte zwischen Gastgebern und Gastgegebenen;<br />

mich mögen’s auf beiden Seiten nicht. Diese zentrale Vorzugsposition<br />

ermöglicht es mir, den minder Eingeweihten unsere Lage mit besonderer Einsicht zu<br />

erklären. Historisch ist sie klar. Gleich allen andern Herren hier im Saal – dem Präsidenten<br />

der Auslands-Reichsdeutschen zum Beispiel oder dem Vertreter der United<br />

States of America – habe ich meine Maturaarbeit hier im Maximilian-Gymnasium<br />

im neunten Hieb, über das Thema gemacht … bella gerant alii, Sie wissen ja, das<br />

auf eine lateinische Propaganda für das Standesamt hinausläuft. De facto ist es eine<br />

Lüge. Wir Österreicher haben unsere Aggressionskriege geführt, nur haben wir es<br />

stets grundsätzlich abgelehnt, in ein Ausland einzurücken, wo es kein Kaffeehaus<br />

gibt. Infolgedessen – kaum haben wir Krieg erklärt, waren die Feinde schon da. Hier<br />

haben wir sie erobert. Was die Römer anlangt, so wird den echten Ausländern hier<br />

im Saale vielleicht bei ihren Wanderungen durch Wien dieser oder jener Vertreter<br />

der Urbevölkerung mit einer Loden-Toga aufgefallen sein: das sind die Reste gewisser<br />

aufgeriebener Kohorten. – Die Türken brachten uns zugegebenermassen den<br />

Kaffee, dafür lernten sie hier die Polygamie. – Nun und was in späterer Zeit den<br />

Export eines gewissen Rosses, eines trojanischen Rosses nach Deutschland anlangt,<br />

der dann 1938 zum Anschluss Deutschlands an uns führte, das ist ja leider nicht<br />

unbekannt. – Dann kam ein teilweiser Misserfolg. Nach verzweifelten Versuchen,<br />

10 Jahre lang die vier Besatzungsmächte hier zurückzuhalten, mussten wir erst<br />

kürzlich die Flinte ins Korn werfen und sie ziehen lassen. Nun, und jetzt haben die<br />

Wiener eben die Besetzung durch den PEN.<br />

Haben Sie keine Angst, sie ist vorüber. Unter schamlosem Bruch unseres Rütli-<br />

Schwures, alles geheim zu halten, will ich Ihnen verraten, dass wir nur einmal wieder<br />

von jenem alten lateinischen Thema gesprochen haben, von der einen Entscheidung,<br />

vor der wir stehen: Atombombe oder Standesamt. Und entgegen den Informationen<br />

der lokalen Presse sind wir uns gerade in dieser Atmosphäre traditioneller Wiener<br />

Toleranz völlig einig darüber, dass wir gegen die Atombombe sind – wir sind sogar<br />

gegen alle Bomben – und nur über die Frage wie weit das unter uns unbedingt zu<br />

standesamtlichen Konsequenzen führen muss, haben wir uns ein wenig die Köpfe<br />

eingeschlagen,<br />

Meine Freunde, lassen Sie mich einen Augenblick ernst sein. Dieses Köpfe-<br />

Einschlagen ist der Sinn des PEN. Mein Sohn, mein erster Sohn, der inzwischen<br />

gestorben ist, hat als Bub in Alt-Aussee eine kleine Freundin gehabt, ein Bauernmädel.<br />

Einmal haben wir sie furchtbar miteinander raufen gesehen. Und wie wir das<br />

Mädel gefragt haben, warum? hat sie gesagt: „Mir haben sich bloss einmal besser<br />

kennenlernen wollen.“ Sehen Sie, meine Freunde, wenn ich die Adresse von dem<br />

Mädel wüsste – es ist allerdings schon wieder ein Vierteljahrhundert her – die wäre<br />

ein richtiges Mitglied für den Internationalen PEN.<br />

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