Dokument_1.pdf (1165 KB) - OPUS4
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durch eine restriktive Interpretation des Gleichheitsgrundsatzes gekennzeichnet.<br />
Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit Art. 3 GG hat das<br />
BVerfG nur die Einhaltung der Grenzen der Willkür zu überprüfen, nicht aber, ob<br />
der Gesetzgeber im Einzelfall die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste<br />
Lösung gefunden hat. 69 Eine durchgängig am Grundsatz der Gerechtigkeit<br />
orientierte Rechtsanwendung, wie sie von Tipke gefordert wird, ist vom<br />
Gleichheitssatz nicht gedeckt und läuft Gefahr, den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit<br />
(Art. 20 Abs. 3 GG) zu unterlaufen. Das verfassungsmäßige Gesetzmäßigkeitsprinzip,<br />
in seinen Ausformungen als Vorrang des Gesetzes und als Vorbehalt<br />
des Gesetzes, bindet den steuerlichen Rechtsanwender zwingend an das anzuwendende<br />
Gesetz und lässt das subjektive Rechtsgefühl der Beteiligten in den Hintergrund<br />
treten.<br />
Über diese verfassungsrechtlichen Aspekte hinaus ist die Wertungsabfolge<br />
Tipkes in ihrem Aufbau inkonsequent. Er rechtfertigt die Umsatzsteuer nicht, weil<br />
sie eine Verbrauchsteuer ist, sondern er kommt zu dem Ergebnis, dass sie eine<br />
Verbrauchsteuer sein muss, um sie rechtfertigen zu können. Auch die Zugrundelegung<br />
des Leistungsfähigkeitsprinzips als ein, das gesamte materielle Steuerrecht<br />
zwingend beherrschendes Fundamentalprinzip stößt auf Bedenken. Tipke stellt<br />
das Leistungsfähigkeitspostulat als allumfassendes Fundamentalprinzip an den<br />
Anfang seiner Gedankenführung, um es durch konsequente Reduktion in die einzelnen<br />
Steuergesetze hinein zu projizieren. Er unterstellt damit dem Gesetzgeber<br />
eine Wertentscheidung, die in der Art nicht zwingend ist. Anders als Art. 134<br />
Weimarer Verfassung enthält die geltende Verfassung keinen ausdrücklichen<br />
Hinweis auf eine leistungsgerechte Besteuerung. Es besteht zwar kein Zweifel<br />
daran, dass der Gesetzgeber an den sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Grundsatz<br />
der Gerechtigkeit gebunden ist, doch ist der Kern dieser Norm nicht darin zu<br />
sehen, einen positiven Standard zu erreichen, sondern einen negativen zu verhindern.<br />
Obwohl das BVerfG derzeit an die Beachtung der Leistungsfähigkeit strengere<br />
Maßstäbe anlegt, bleibt der Grundsatz, dass Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber<br />
Gestaltungsfreiheit bis zur Grenze der Willkür gewährt. 70 Tipke verstößt damit<br />
elementar gegen die allgemeinen Grundsätze der Auslegung. Anstatt ausgehend<br />
vom geschriebenen Text den objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erforschen,<br />
zwängt er dem Gesetzgeber seine eigenen Wertvorstellungen über ein<br />
gerechtes Steuersystem auf, indem er diese Wertvorstellungen in die Steuergesetze<br />
hineinträgt.<br />
Um der weiteren Diskussion eine Grundlage zu verleihen, werden zunächst<br />
die Begriffe Verkehr- und Verbrauchsteuer beleuchtet. Dies erscheint gerechtfertigt,<br />
da zum einen keine Einigkeit über den Gehalt dieser Termini zu be-<br />
69 BVerfG v. 9.7.1969, BVerfGE 26, 302 (310); v. 18.5.1971, BVerfGE 31, 119 (130); v.<br />
10.12.1985, BVerfGE 71, 255 (271); v. 19.2.1991, BVerfGE 83, 395 (401); v. 8.10.1991,<br />
BVerfGE 84, 348 (359).<br />
70 BVerfG v. 22.2.1984, BVerfGE 66, 214 = BStBl. II 1984, 357; v. 4.10.1984, BVerfGE 67, 290<br />
= BStBl. II 1985, 22; v. 17.10.1984, BVerfGE 68, 143; v. 19.3.1993, JZ 1993, 306.