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74<br />
A. Die Unternehmereigenschaft als Zurechnungskriterium<br />
1. Die Selbständigkeit als zentrales Merkmal<br />
Der Selbständigkeit des umsatzsteuerlichen Unternehmers wird seit jeher zentrale<br />
Bedeutung beigemessen. Bereits das Umsatzsteuergesetz 382 von 1918 besteuerte<br />
mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Umsätze „solcher Personen, die eine selbständige gewerbliche<br />
Tätigkeit mit Einschluss der Urerzeugung und des Handels ausüben”. Die Bedenken<br />
des historischen Gesetzgebers, eine Besteuerung der gegen Entgelt hingegebenen Arbeitskraft<br />
in abhängiger Stellung würde auf eine „Lohn und Besoldungssteuer, also, ...<br />
auf eine Teileinkommensteuer hinauslaufen” 383 , können aufgrund des Verbrauchsteueraspektes<br />
nicht überzeugen und erscheinen seit der Einführung des offenen Steuerüberwälzungsmechanismus<br />
auch nicht mehr gerechtfertigt. Dennoch ist die Selbständigkeit<br />
de lege lata unverzichtbares Merkmal der subjektiven Steuerpflicht. Das Gesetz<br />
enthält zwar keine positive Definition der Selbständigkeit; indessen wird in § 2 Abs. 2<br />
UStG aber die Nichtselbständigkeit natürlicher und juristischer Personen getrennt umschrieben.<br />
Dieser Untergliederung folgend soll im folgenden untersucht werden, ob und<br />
wie sich die (Un)Selbständigkeit auf die Zurechnung von Umsätzen auswirkt.<br />
2. Unselbständigkeit juristischer Personen<br />
Im deutschen Umsatzsteuerrecht geht die Organschaftslehre bis in das Jahr<br />
1923 zurück. Der RFH 384 hatte, nachdem er anfänglich der Auffassung gewesen war,<br />
dass Gesellschaften steuerrechtlich nicht unselbständig sein könnten, in ständiger<br />
Rechtsprechung entschieden, dass auch juristische Personen umsatzsteuerlich unselbständig<br />
sein können, weil, so Popitz, „die zwingende Logik der wirtschaftlichen Tatsachen”<br />
385 hierzu nötige und jede andere Lösung „die Wucht der Tatsachen” 386 gegen<br />
sich hätte. Während der RFH zunächst auch eine umsatzsteuerrechtliche Unselbständigkeit<br />
einer juristischen Person im Sinne eines Angestelltenverhältnisses für möglich<br />
hielt, stellte er 1934 fest, dass eine natürliche Person nur als Angestellter eines Unternehmers,<br />
nicht aber als dessen Organ im Sinne der Organlehre unselbständig sein könne.<br />
Umgekehrt sei eine juristische Person nur als Organ und nicht als Angestellte umsatzsteuerlich<br />
unselbständig. 387 Die Organlehre war Ausfluss einer extensiv wirtschaft-<br />
382 Gesetz vom 26.7.1918, RGBl. 1918, 779.<br />
383 RT-Drucks. 1914/18, Nr. 1461, S. 22.<br />
384 Erstmalig RFH v. 27.1.1923, RFHE 11, 265; ferner z.B. RFH v. 14.12.1923, RFHE 13, 146; v.<br />
28.11.1924, RFHE 15, 116; v. 14.12.1925, RFHE 18, 75; v. 26.9.1927, RFHE 22, 69;<br />
5.10.1929, RStBl. 1929, 121; v. 13.10.1933, RFHE 34, 176; v. 20.8.1934, RStBl. 1934, 1209.<br />
385 Popitz/Grabower/Kloß, UStG, 3. Aufl. 1928, S. 304.<br />
386 Popitz/Grabower Kloß, UStG, 3. Aufl. 1928, S. 308.<br />
387 RFH v. 23.2.1934, RFHE 36, 39, RStBl. 1934, 831; vgl. auch Hartmann/Metzenmacher, UStG,<br />
1934, S. 139.