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Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion – Konzeption ...

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KULTURPÄDAGOGIK UND SCHULE 175<br />

le Weise entlud; die Entstehung des Sozial- und Interventionsstaates; <strong>der</strong> Aufstieg <strong>der</strong> Frauenbewegung;<br />

e<strong>in</strong>e neue Stufe von Verkehr und Kommunikation durch Eisenbahnbau und<br />

die Massenpresse.“ (Ebd., Seite 522).<br />

Jaeger sieht weitere Vorteile e<strong>in</strong>er solchen Auffassung vom Ende <strong>der</strong> Neuzeit mit dem Beg<strong>in</strong>n<br />

<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne: e<strong>in</strong>e verän<strong>der</strong>te europäische Selbstdeutung, e<strong>in</strong>e Sensibilisierung für<br />

unterschiedliche Entwicklungswege und Mo<strong>der</strong>nisierungs-Pfade, die außereuropäische<br />

Kulturen und Gesellschaften gegangen s<strong>in</strong>d (etwa im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> multiple mo<strong>der</strong>nities, vgl.<br />

Knöbl 2001). Insbeson<strong>der</strong>e erleichtere e<strong>in</strong> solches Vorgehen e<strong>in</strong>e verstärkte Rückbes<strong>in</strong>nung<br />

auf die <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne eigenen Gewaltrisiken.<br />

Gerade <strong>der</strong> letzte Punkt ist dabei vielen Selbstbeschreibungen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne e<strong>in</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

und e<strong>in</strong> Problem: die eben nicht domestizierte Tendenz zur Gewalt. Ursprünglich<br />

gehörte die Herstellung von Frieden zu den zentralen Versprechungen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne. Fortschritt<br />

glaubte man etwa dadurch erzielt zu haben, dass sich mit dem mo<strong>der</strong>nen Staat das<br />

Gewaltmonopol dieses Staates durchsetzte. Doch kommen Studien zu dem Ergebnis, dass<br />

die Gewalt <strong>in</strong>sgesamt ke<strong>in</strong>eswegs reduziert wurde, so dass dieser Wi<strong>der</strong>spruch zwischen<br />

Friedensversprechungen und realer Gewaltförmigkeit des Alltags e<strong>in</strong>e zentrale Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

für die Bewertung <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne ist. Zygmunt Baumann sprach <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

von <strong>der</strong> „Ambivalenz <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne“.<br />

E<strong>in</strong>e weitgehend akzeptierte Antwort lautet heute: „Das Projekt <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne erfüllt sich<br />

genau dar<strong>in</strong>, dass sich die Mo<strong>der</strong>ne ihres Potenzials an Barbarei bewusst wird und <strong>in</strong> ihrem<br />

Zivilisationprozeß zu überw<strong>in</strong>den trachtet“. (Miller/Soeffner 1996, S. 18).<br />

An geistigen Pr<strong>in</strong>zipien unterscheiden verschiedene Autoren Rationalisierung <strong>der</strong> Kultur,<br />

Individualisierung des Lebens, Domestizierung <strong>der</strong> Natur und Differenzierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

(van <strong>der</strong> Loo/van Reijen 1990).<br />

Max Weber br<strong>in</strong>gt den Gedanken <strong>der</strong> methodisch-rationalen Lebensführung <strong>in</strong>s Spiel.<br />

Zudem s<strong>in</strong>d Sachlichkeit und Säkularisierung wichtige Pr<strong>in</strong>zipien.<br />

Es ist bereits <strong>in</strong> diesen Etikettierungen das berühmte AGIL-Schema erkennbar, das Parsons<br />

aus se<strong>in</strong>er Lektüre von Weber, aber auch <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Klassiker <strong>der</strong> Soziologie (Tönnies,<br />

Durkheim) entwickelt hat (Abb. 7, hier nach Münch 1991, siehe nächste Seite).<br />

Dieses Schema enthält natürlich schon e<strong>in</strong>e erhebliche Theoretisierung <strong>der</strong> „Mo<strong>der</strong>ne“, es<br />

ist allerd<strong>in</strong>gs hilfreich gerade bei dem Anliegen dieses Textes, da es e<strong>in</strong>e Sortierhilfe <strong>in</strong> Bereiche<br />

(Subsysteme) liefert, die nunmehr geson<strong>der</strong>t im H<strong>in</strong>blick auf unsere Fragestellung<br />

nach zentralen Gegenständen <strong>der</strong> Deutung, aber auch nach <strong>der</strong> Herkunft <strong>der</strong> Orientierungs-<br />

und <strong>der</strong> Deutungsvorschläge untersucht werden können und die e<strong>in</strong>e Rolle bei <strong>der</strong><br />

Funktionsbeschreibung <strong>der</strong> Pädagogik spielen.<br />

Im AGIL-Schema ist es das Kultursystem (L), das als S<strong>in</strong>n- und Deutungs<strong>in</strong>stanz dem Rest<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft, dem Deutungs-Objekt (Wirtschaft: A; Politik: G; Soziales: I), gegenübersteht.<br />

Zu diesem Kultursystem kann das <strong>Bildung</strong>ssystem gezählt werden, <strong>in</strong> dem daher die<br />

Aufgabe <strong>der</strong> S<strong>in</strong>nvermittlung und Orientierung e<strong>in</strong>e wichtige Rolle spielt. Weitere gesellschaftliche<br />

Funktionen des <strong>Bildung</strong>ssystems werden weiter unten beschrieben. Die verschiedenen<br />

Deutungs-Vorschläge werden auch danach zu unterscheiden se<strong>in</strong>, dass sie jeweils e<strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>es System als „Leitsystem“ für die Gesamtgesellschaft sehen. Beispiel: Die Ökonomie<br />

wird als das maßgebliche Subsystem nicht nur von <strong>der</strong> marxistischen Gesellschaftslehre und<br />

Geschichts-Theorie („historischer Materialismus“), son<strong>der</strong>n auch von solchen Ansätzen gesehen,<br />

die von <strong>der</strong> Industrie- o<strong>der</strong> Dienstleistungsgesellschaft sprechen. Auch die aktuellen politisch-ökonomischen<br />

Theorien des Fordismus bzw. Postfordismus s<strong>in</strong>d dort angesiedelt.

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