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Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion – Konzeption ...

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KULTURPÄDAGOGIK UND SCHULE 215<br />

stark obrigkeitsstaatlich geprägt und hatte e<strong>in</strong>en diszipl<strong>in</strong>arischen Charakter. An<strong>der</strong>erseits<br />

gab es die große pädagogische Hoffnung, hiermit e<strong>in</strong> pädagogisches Arbeitsfeld zu konstituieren,<br />

das sehr viel mehr (reform-)pädagogischen Zielen und Arbeitsweisen („Autonomie<br />

des K<strong>in</strong>des“) entsprach als die Schule, die man <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht schon fast abgeschrieben<br />

hatte (vgl. Niemeyer 1999, Kap. 3): Jedes deutsche K<strong>in</strong>d hat e<strong>in</strong> Recht auf Erziehung zur<br />

leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit, so hieß es <strong>in</strong> §1 JWG und so heißt<br />

es heute ähnlich <strong>in</strong> §1 KJHG. Damit war zugleich die Natorpsche Idee e<strong>in</strong>er Neuformulierung<br />

e<strong>in</strong>er Pädagogik als Sozial-Pädagogik ad acta gelegt und man konnte <strong>–</strong> etwa durch<br />

e<strong>in</strong>e entsprechende Besetzung von Sprangers Lehrstuhl <strong>in</strong> Leipzig (Th. Litt wurde schließlich<br />

nach e<strong>in</strong>er Ablehnung durch Kerschenste<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Lehrstuhl<strong>in</strong>haber) <strong>–</strong> „Kulturpädagogik“<br />

als Versuch e<strong>in</strong>er ideellen Vergeme<strong>in</strong>schaftung von oben durch e<strong>in</strong> entsprechend verstandenes<br />

Konzept von „Kultur“ weiter betreiben.<br />

Genau diese Diskussion ist heute wie<strong>der</strong> virulent:<br />

· zum e<strong>in</strong>en ist <strong>der</strong> Grundsatzstreit „Kultur“ o<strong>der</strong> „Soziales“ immer noch nicht beigelegt,<br />

· zum an<strong>der</strong>en def<strong>in</strong>ieren sich die Sozial- und Kulturpädagogik immer noch als Gegensatz<br />

zur Schule, die sich nunmehr daranmacht, beiden Fel<strong>der</strong>n durch ihre Vere<strong>in</strong>nahmung des<br />

Nachmittags den Todesstoß zu versetzen.<br />

· Außerdem gibt es e<strong>in</strong> stark reformpädagogisch geprägtes Selbstverständnis im Außerschulischen,<br />

das von <strong>der</strong> Gewissheit geprägt wird, die eigentlich k<strong>in</strong>dgemäße Pädagogik zu<br />

betreiben.<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Unterschied zwischen Sozial- und Kulturpädagogik besteht dar<strong>in</strong>, dass sich<br />

die Kulturpädagogik als ästhetische <strong>Bildung</strong>sarbeit zwar dem Ziel e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en <strong>Bildung</strong><br />

(für alle) ebenso wie die Schule verschreibt, dies jedoch nicht nur primär im Außerschulischen<br />

(Freiwilligkeit <strong>der</strong> Teilnahme!) tut, son<strong>der</strong>n auch auf e<strong>in</strong>e bestimmte Art und<br />

Weise: nämlich durch beson<strong>der</strong>e Berücksichtigung <strong>der</strong> (von <strong>der</strong> Schule stets vernachlässigten:<br />

H. Rumpf) s<strong>in</strong>nlichen Dimension. Dabei spielen <strong>–</strong> je nach Arbeitsfeld und Tradition<br />

<strong>der</strong> Träger <strong>–</strong> immer wie<strong>der</strong> die Künste e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, z. T. als Beschreibung des eigenen<br />

Feldes (Musikschulen), z. T. aber auch als Bereich, von dem man sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nlichkeitsorientierten<br />

(„ästhetischen“) <strong>Bildung</strong>sarbeit absetzt. Im letztgenannten Fall hat man<br />

dabei oft genug „Kunst“ als etabliertes System <strong>in</strong> <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft im Auge, bei<br />

dem man kunstbezogene <strong>Bildung</strong>swirkungen wie Erweiterung des s<strong>in</strong>nlichen Vermögens,<br />

Umgang mit Möglichkeitswelten, Erweiterung von Erkenntnis und Emotionalität etc. weniger<br />

zu f<strong>in</strong>den glaubt als vielmehr äußerliche Funktionen des Kunstgebrauchs (Kunst als<br />

Statussymbol, als Event etc.).<br />

In jedem Fall ist <strong>der</strong> Kunstbezug <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kulturpädagogik zum<strong>in</strong>dest ambivalent: Denn<br />

gerade aufgrund <strong>der</strong> politischen Geschichte des sozialen Gebrauchs <strong>der</strong> „autonomen Kunst“<br />

im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t (Konstituierung des Bürgertums; vgl. Nipperdey 1990; Bollenbeck<br />

1994) fällt es schwer, h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> politischen und sozialen Funktionalität von Kunst ihre<br />

mögliche (humanistische) <strong>Bildung</strong>swirkung freizulegen, weil diese immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

öffentlichen Rhetorik zur Kaschierung des eigentlich gewollten politischen Zweckes verwendet<br />

wurde. Dazu kommt, dass man es im Diskurs immer mit Bil<strong>der</strong>n, Vorstellungen<br />

o<strong>der</strong> sogar Theorien von Kunst zu tun hat, und diese s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Deutschland sehr stark von <strong>der</strong><br />

Romantik geprägt. So ist es im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> verständlich, dass e<strong>in</strong>e deutschtümelnde, auf<br />

(Werte-)Geme<strong>in</strong>schaft statt auf Gesellschaft setzende Jugendbewegung im Vorfeld des Nationalsozialismus<br />

e<strong>in</strong>e Liaison (dangereuse) mit e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>art verstandenen „Kunst“ (als Gegensatz<br />

von Rationalität) e<strong>in</strong>gehen konnte.

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