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Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion – Konzeption ...

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TAGUNG KULTURELLE BILDUNG 301<br />

auf, aber man täte Jürgen Baumert, dem Vater des deutschen PISA, unrecht, wollte man ihm<br />

unterstellen, er könnte auf Kultur für e<strong>in</strong>e Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verzichten.<br />

Für ihn gehören die musischen Fächer ohne Frage zum unabd<strong>in</strong>gbaren Kanon. 2 Man darf<br />

Kämpfe nicht an <strong>der</strong> falschen Stelle führen.<br />

Besorgniserregend f<strong>in</strong>de ich etwas an<strong>der</strong>es. Es ist für PISA selbstverständlich, dass Lesekompetenz,<br />

mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung und fächerübergreifende Kompetenzen<br />

wie Selbstreguliertheit des Lernens gemessen werden. 3 Dass man dies tut, liegt nahe.<br />

Diese Kompetenzen s<strong>in</strong>d die sche<strong>in</strong>bar je<strong>der</strong>mann e<strong>in</strong>leuchtenden primären Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />

Schule, verkürzt und mo<strong>der</strong>n gesagt: ohne gute Lese- und mathematische Kompetenz ke<strong>in</strong><br />

Wirtschaftswachstum. Ich möchte an dieser Stelle vor e<strong>in</strong>em Missverständnis warnen: Lesekompetenz<br />

im PISA-S<strong>in</strong>ne ist primär <strong>der</strong> richtige Umgang mit Texten je<strong>der</strong> Art, wozu auch<br />

literarische Texte gehören; PISA hat die Lesefreude untersucht und die Distanz vieler Jugendlicher<br />

zum Lesen angeprangert <strong>–</strong> dennoch: die gefor<strong>der</strong>te Lesekompetenz hat nur wenig mit<br />

kultureller <strong>Bildung</strong> zu tun, denn es geht bei PISA vor allem um Sachtexte. Zu den genannten<br />

Kompetenzen gibt es e<strong>in</strong>e jahrzehntealte Erfahrung <strong>der</strong> Messung, quer über alle Nationen. Was<br />

<strong>in</strong> Mathematik zu lernen ist, liegt mehr o<strong>der</strong> weniger fest. Allerd<strong>in</strong>gs: wer sich genauer darum<br />

kümmert, <strong>der</strong> merkt schnell, dass vieles auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mathematik nicht son<strong>der</strong>lich klar ist, also<br />

e<strong>in</strong> großer Forschungsbedarf besteht. 4 Wer kulturelle <strong>Bildung</strong> vertritt, dem fehlt die Erfahrung<br />

<strong>der</strong> harten Fächer und die Sicherheit des Kanons; über Forschungsbedarf wird da nicht e<strong>in</strong>mal<br />

nachgedacht. Die nationalen Unterschiede s<strong>in</strong>d groß, die fachlichen Diskussionen sehr wechselhaft.<br />

Wer den Aufwand von Messungen auf sich nehmen will, hat es sehr schwer; die Beweislage<br />

für verwendbare Ergebnisse wird komplizierter zu ermitteln se<strong>in</strong> als bei <strong>der</strong> Lesekompetenz;<br />

manche bezweifeln, dass Messungen überhaupt möglich und s<strong>in</strong>nvoll s<strong>in</strong>d. 5<br />

Nicht vom Denkansatz her, wohl aber von <strong>der</strong> Durchführung her wirkt sich PISA negativ<br />

für jede kulturelle <strong>Bildung</strong> aus. Ähnliches lässt sich für die <strong>Bildung</strong>sstandards sagen. Die<br />

PISA-würdigen Fächer werden beachtet, alles An<strong>der</strong>e ist zweit- o<strong>der</strong> drittrangig. Die mo<strong>der</strong>ne<br />

empirische Forschung wie die aktuelle Schulpolitik begünstigen <strong>–</strong> vielleicht wi<strong>der</strong><br />

Willen <strong>–</strong> das Greifbare und Nutzbr<strong>in</strong>gende.<br />

1 Jürgen Baumert u.a., Deutsches PISA-Konsortium, PISA 2000, Opladen 2001, S. 16.<br />

2 Jürgen Baumert schreibt <strong>in</strong> „Deutschland im <strong>in</strong>ternationalen <strong>Bildung</strong>svergleich“ (<strong>in</strong>: N. Killius u.a., Die<br />

Zukunft <strong>der</strong> <strong>Bildung</strong>, Frankfurt 2002, S. 100-150) von Modi <strong>der</strong> Weltbegegnung, <strong>der</strong>en e<strong>in</strong>er die ästhetisch-expressive<br />

Begegnung und Gestaltung sei. (S.113).<br />

3 J. Baumert u. a., s.Anm. 1, S. 15f.<br />

4 Krist<strong>in</strong>a Reiss fasst für <strong>Bildung</strong>sstandards („<strong>Bildung</strong>sstandards und die Rolle <strong>der</strong> Fachdidaktik am Beispiel<br />

<strong>der</strong> Mathematik“, <strong>in</strong>: ZfPäd Jg. 50, 5/2004, S. 635-649) zusammen: „Die diskutierten Beispiele...s<strong>in</strong>d<br />

Ideen von Standards für den Mathematikunterricht, <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> die Praxis noch nicht bzw. nicht<br />

h<strong>in</strong>reichend untersucht ist.“ (S. 648).<br />

5 Yvonne Ehrenspeck, „Stichwort: Ästhetik und <strong>Bildung</strong>“ (<strong>in</strong>: ZfE, 4. Jg., 1/2001, S.5-21), legt diese skeptische<br />

Frage nahe. Sie schreibt (S.16f.): „Grundsätzlich muss jedoch konstatiert werden, dass im H<strong>in</strong>blick auf<br />

die Empirie <strong>der</strong> ästhetischen <strong>Bildung</strong> noch viele Fragen offen s<strong>in</strong>d und auch die Forschungsmethodik ist<br />

kaum ausgereift...Im H<strong>in</strong>blick auf empirische Forschung stellt sich darüber h<strong>in</strong>aus grundsätzlich die Frage<br />

nach <strong>der</strong> Möglichkeit, bezogen auf ästhetische Erfahrung, „empirisch zuverlässige und den plausiblen E<strong>in</strong>zelfall<br />

übersteigende verallgeme<strong>in</strong>erungsfähige Behauptungen“ machen zu können.“

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