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Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion – Konzeption ...

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KULTURPÄDAGOGIK UND SCHULE 235<br />

klar, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis handhabbar und <strong>in</strong> ihrer Anwendung überprüfbar se<strong>in</strong>. Fast zwangläufig<br />

ergibt sich aus dieser Handlungslogik die Notwendigkeit e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen Lehrplans,<br />

dessen Befolgung nicht <strong>in</strong> das Belieben des e<strong>in</strong>zelnen Lehrers gestellt werden kann. Entsprechend<br />

<strong>der</strong> deutschen Tradition <strong>–</strong> sogar entsprechend dieser Art <strong>der</strong> Steuerung <strong>–</strong> werden<br />

alle Facetten von Schule verb<strong>in</strong>dlich vorgegeben und durch e<strong>in</strong>e entsprechende Schulaufsicht<br />

kontrolliert (vgl. Prange 1983, Kap. II). Dies kann soweit gehen, dass nicht nur <strong>in</strong><br />

Schulgesetzen die Schulpflicht festgeschrieben wird, son<strong>der</strong>n sogar für den <strong>–</strong> für alle verb<strong>in</strong>dlichen<br />

<strong>–</strong> Lehrplan die Ratifizierung durch das Parlament vorgeschlagen wurde. In demokratietheoretischer<br />

H<strong>in</strong>sicht ist diese Idee nachvollziehbar, nur sollte man nicht glauben,<br />

dass mit <strong>der</strong> dadurch entstehenden politischen Legitimation des Lehrplans zugleich die<br />

Lernmotivation für den e<strong>in</strong>zelnen Schüler entsteht.<br />

Es sche<strong>in</strong>t so zu se<strong>in</strong>, dass diese immanente Handlungslogik dazu geführt hat, dass Schulen<br />

überall dort, wo sie entstehen <strong>–</strong> und sie entstehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat geradezu weltweit <strong>–</strong> auf sehr<br />

ähnliche Weise entstehen. Nun entstehen auch überall ähnliche Probleme, so dass die Etablierung<br />

<strong>der</strong> Schule stets von e<strong>in</strong>er Schulkritik begleitet wird. Diese Schulkritik macht sich<br />

überall an schulspezifischen Merkmalen fest: <strong>der</strong> Art ihrer bürokratischen Steuerung, <strong>der</strong><br />

Abgehobenheit vom Alltag, <strong>der</strong> relativen Unbeweglichkeit und <strong>der</strong> sofort e<strong>in</strong>setzenden Selbstreferentialität.<br />

Diese Schule hat es nunmehr mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und vor allem mit Jugendlichen<br />

zu tun, wobei K<strong>in</strong>dheit und Jugend ebenfalls „Erf<strong>in</strong>dungen“ <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne s<strong>in</strong>d. Diese stehen<br />

zum e<strong>in</strong>en mitten <strong>in</strong> ihrer Familie, ihrem Freundeskreis, nutzen Medien und Kulturangebote,<br />

versuchen sich also <strong>in</strong> ihrer Lebenswelt zu orientieren. In dieser Situation werden<br />

sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Institution <strong>–</strong> und zwar mit wachsenden Zeitanteilen täglich und <strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick auf<br />

die Gesamtdauer <strong>–</strong> zwangsweise verbracht, die dieser Lebenswelt so gar nicht entspricht. Es<br />

gibt notgedrungen nicht bloß den strukturellen Wi<strong>der</strong>spruch zwischen Autonomie und<br />

äußerem Zwang: dieser Lehrplan, zu dem man gezwungen wird, ist aus systematischen (!)<br />

Gründen so weit weg vom Alltag, dass e<strong>in</strong>e spontane, alltagsgespeiste Motivation eher selten<br />

vorkommt. Daraus folgt, dass viele Reformvorschläge darauf h<strong>in</strong>auslaufen, die Schule<br />

„lebensweltlicher“ zu gestalten. Neben diesem, immer schon vorhandenen <strong>–</strong> weil strukturell<br />

angelegten <strong>–</strong> Problem ergibt sich nunmehr aufgrund des gesellschaftlichen Wandels<br />

e<strong>in</strong>e weitere Problematik. Man mag diesen Wandel beschreiben, wie man will <strong>–</strong> ich wähle<br />

hier e<strong>in</strong>mal den Begriff „Zweite Mo<strong>der</strong>ne“ als Label: die Entwicklungstendenz läuft stets<br />

darauf h<strong>in</strong>aus, dass die <strong>in</strong>dustrie-kapitalistische Gesellschaftsform an ihr Ende gekommen<br />

ist, so wie es oben skizziert wurde. Selbst <strong>der</strong> Staat hat schon vor Jahren begonnen, se<strong>in</strong>e<br />

eigene Steuerungsform zu mo<strong>der</strong>nisieren (New Public Management, Neues Steuerungsmodell,<br />

output-Orientierung, Budgetierung etc.). E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wenigen Bereiche, <strong>in</strong> denen dies<br />

bislang kaum geschehen ist, ist die Schulpolitik. Selbst Ansätze e<strong>in</strong>er „Autonomen Schule“<br />

verbleiben oft noch weitgehend <strong>in</strong> <strong>der</strong> traditionellen Form bürokratischer Steuerung. Damit<br />

wird die Schule sogar <strong>in</strong>nerhalb des Systems öffentlicher E<strong>in</strong>richtungen zu e<strong>in</strong>em isolierten<br />

Überbleibsel vergehen<strong>der</strong> Zeiten, was die Distanz zu den Schülern und zur Lebenswelt noch<br />

vergrößert. Dazu kommt, dass die Gesellschaft <strong>der</strong> Zweiten Mo<strong>der</strong>ne die Jugend offensichtlich<br />

nicht mehr braucht, so dass neben <strong>der</strong> Schule auch an<strong>der</strong>e pädagogische Angebote ihre<br />

bisherige Legitimation verlieren. Lother Böhnisch (1996, S. 22) beschreibt dies wie folgt:<br />

„Vor allem auch die Pädagogik ist von alltäglichen Begleit- und Folgeproblemen struktureller<br />

Anomie immer wie<strong>der</strong> tangiert. Wie soll sie ihre Ziele und Erziehung zur sozialen Gestaltung<br />

und Mündigkeit erreichen, wenn die Gesellschaft sich nicht mehr um die Jugend kümmert, weil<br />

sie sie als human capital und Stimulus gesellschaftlichen Wandels pr<strong>in</strong>zipiell nicht mehr so benö-

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