Festung Europa
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Staaten unmöglich ist, gegen eine von ihnen auf der<br />
Grundlage der Gegenseitigkeit angenommene<br />
Rechtsordnung nachträglich einseitige Maßnahmen<br />
ins Feld zu führen. Denn es würde eine Gefahr für die<br />
in Art. 10 Abs. 2 EGV aufgeführten Ziele bedeuten<br />
und dem Verbot des Art. 12 EGV widersprechende<br />
Diskriminierungen zur Folge haben, wenn das Gemeinschaftsrecht<br />
je nach innerstaatlicher Gesetzgebung<br />
von einem Staat zum anderen verschiedene<br />
Geltung haben könnte. Daher beansprucht das Gemeinschaftsrecht<br />
gegenüber nationalen kollidierenden<br />
Hoheitsakten Anwendungsvorrang (�Vorrangfrage<br />
<strong>Europa</strong>recht – nationales Recht). Hierin<br />
kommt auch zum Ausdruck, dass die EG/EU nicht<br />
nur nationale Hoheitsrechte – quasi als fremde Rechte<br />
– ausübt, sondern mit der Übertragung eigene, von<br />
den mitgliedstaatlichen Verfassungsordnungen unabhängige<br />
gemeinschaftsrechtliche Hoheitsrechte/<br />
-befugnisse begründet wurden ( EuGH E 1978, 629 –<br />
Simmenthal II).<br />
2.2 Beschränkte gemeinschaftsrechtliche Hoheitsbefugnisse:<br />
Allerdings erfolgte lediglich eine Übertragung<br />
von einzelnen, enumerativ in den Gründungsverträgen<br />
aufgezählten Hoheitsrechten<br />
(�„Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“,<br />
Art. 5 Abs. 1 EGV bzw. Art. I-11 Abs. 1 VVE 2004).<br />
Diese spezifischen Hoheitsrechte werden jetzt nicht<br />
mehr von den Mitgliedstaaten allein, sondern von<br />
den europäischen Einrichtungen allein (ausschließliche<br />
�Zuständigkeit) bzw. unter Beteiligung der<br />
Mitgliedstaaten ausgeübt (konkurrierende Zuständigkeit),<br />
Art. 5 Abs. 2 EGV. Da die Integration in der<br />
Vergangenheit – naturgemäß – zunehmend zentralistische<br />
Tendenzen aufwies, wird die Kompetenzausübung<br />
der europäischen Organe seit dem Vertrag<br />
von Maastricht an das �Subsidiaritätsprinzip (Art. 5<br />
Abs. 2 EGV) und an die Grundsätze der �Verhältnismäßigkeit<br />
(Art. 5 Abs. 3 EGV) gebunden. Auch der<br />
Verfassungsvertrag 2004 ändert an dieser grundlegenden<br />
Konzeption nichts (vgl. Art. I-11 VVE).<br />
Trotz dieser Versuche, die „Regulierungswut“ europäischer<br />
Rechtsetzung einzuschränken, bleiben die<br />
wenigsten Lebensbereiche heute von europäischer<br />
Normierung unberührt.<br />
Gleichwohl kann nach überwiegender Auffassung<br />
weder gegenwärtig noch für die Zukunft nach einem<br />
etwaigen Inkrafttreten des Verfassungsvertrages<br />
von einem europäischen Staat gesprochen werden.<br />
Es bleibt in der Terminologie des Bundesverfas-<br />
Hoheitsrechte<br />
sungsgerichts bei einem Staatenverbund bzw. bei einem<br />
Verfassungsverbund (Pernice), da die Mitgliedstaaten<br />
weder der Europäischen Gemeinschaft noch<br />
der künftigen Europäischen Union die �Kompetenz-Kompetenz<br />
noch die gesamte Fülle staatlicher<br />
Regelungsmacht überantwortet haben. Die Ausarbeitung<br />
und auch die Verfahren zur Ratifikation des<br />
Verfassungsvertrages 2004 können nicht als Verfassungsgebung<br />
im staatsrechtlichen Sinn angesehen<br />
werden.<br />
2.3 Grundrechtliche Bindung gemeinschaftsrechtlicher<br />
Hoheitsrechtsausübung: Neben einer Ausrichtung<br />
der EG/EU auf Grundsätze der Rechtstaatlichkeit<br />
(etwa EuGH E 1974, 607, 620) und der Demokratie<br />
(EuGH E 1991 I-2867,2901 – Titandioxydrichtlinie)<br />
ist die Ausübung der Hoheitsgewalt durch<br />
europäische Organe an Grundrechte gebunden. Da<br />
die Gründungsverträge ursprünglich keinen Grundrechtskatalog<br />
enthielten, hat der Europäische Gerichtshof<br />
– wohl unter dem Druck der nationalen<br />
Verfassungsgerichte – Grundrechte als allgemeine<br />
Rechtsgrundsätze statuiert, die die Gemeinschaftsgewalt<br />
binden (grundlegend EuGH E 1969, 419, 425<br />
– Stauder; 1970, 1125 ff., 1135 – Internationale Handelsgesellschaft;<br />
1974, 491 ff. – Nold/Kommission;<br />
zur Anerkennung dieser Bindung in Deutschland<br />
BVerfGE 73, 339 – Solange II). Gemeinschaftsgrundrechte<br />
hat der EuGH entwickelt, weil das Handeln<br />
der Gemeinschaftsorgane ansonsten wegen des<br />
Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts und<br />
der Tatsache, dass es damals keinen verbindlich geschriebenen<br />
Grundrechtskatalog gab, keinerlei<br />
Grundrechtsstandards unterliegen würde. Der Gerichtshof<br />
hat sich hierbei auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen<br />
der Mitgliedstaaten berufen,<br />
nach der die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt<br />
rechtlich begrenzt sei. Zudem verweist der Gerichtshof<br />
auch auf die �Europäische Menschenrechtskonvention,<br />
die Ausdruck dieser Tradition sei.<br />
Mit dem Maastrichter Vertrag ist dies auch primärrechtlich<br />
als Bindung an allgemeine Grundsätze des<br />
Gemeinschaftsrechts normiert (Art. 6 II EGV, vgl.<br />
auch Art. 1, Art. 46 lit. d EUV). Der Verfassungsvertrag<br />
2004 geht über den bisherigen Rechtszustand insoweit<br />
hinaus, als er nunmehr die bisher unverbindliche<br />
Grundrechtscharta in sich aufnimmt und damit<br />
eine Bindung auch ausdrücklich in allen Einzelheiten<br />
und letztlich dem nationalen Standard normativ<br />
weitgehend entsprechend festgeschrieben wird.<br />
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