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Festung Europa

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en Mitgliedstaaten unterschiedlicher Auffassung<br />

(Formel: Man war sich einig, dass man sich uneinig<br />

war.): Frankreich ging davon aus, dass das einzelne<br />

Mitglied eine Veto-Position besitze, falls vitale Interessen<br />

des eigenen Landes berührt seien. Die fünf<br />

anderen EWG-Staaten wollten in diesen Fällen die<br />

vertraglich vorgesehenen Abstimmungsprozeduren<br />

verwirklichen. Frankreich gelang es, seine Sicht<br />

durchzusetzen, so dass für jedes Land faktisch die<br />

Möglichkeit eines Vetos bestand.<br />

Der Luxemburger Kompromiss ist formalrechtlich<br />

nicht verbindlich. Er schuf aber einen Vertrauenstatbestand,<br />

der nicht einseitig aufgekündigt werden<br />

konnte, es sei denn, ein Mitgliedsland wollte einen<br />

offenen Konflikt heraufbeschwören.<br />

Hinter der Blockade der Tätigkeit der EWG durch<br />

Frankreich stand ein grundsätzlicher Dissens über<br />

die Integrationskonzepte: Die Übertragung von politischen<br />

Entscheidungsbefugnissen auf die EWG<br />

ging Frankreich (unter Charles de �Gaulle, der seit<br />

Dezember1958Präsidentwar)zuweit.Unterschiedliche<br />

Konzepte zur Organisation der europäischen<br />

Einigung (supranationale und intergouvernementale<br />

Entscheidungsfindung) standen hier einander gegenüber.<br />

In der Zeit nach der Luxemburger Vereinbarung erfolgte<br />

gegen den Willen eines Mitgliedslandes keine<br />

Mehrheitsabstimmung mehr, mehrere MitgliedstaatenberiefensichaufdenKompromissundverhinderten<br />

so Entscheidungen. Die �Einheitliche Europäische<br />

Akte (1986) tastete die Regelung des Luxemburger<br />

Kompromisses nicht an. Seit 1986 kam es jedoch<br />

vermehrt zu Entscheidungen mit qualifizierter<br />

Mehrheit. In den letzten Jahren wurde auf den Luxemburger<br />

Kompromiss kein Bezug mehr genommen.<br />

In den �Vertrag von Amsterdam hat eine abgewandelte<br />

Form der Luxemburger Vereinbarung Eingang<br />

gefunden, sowohl im Bereich der �Gemeinsamen<br />

Außen- und Sicherheitspolitik (Art. 23 Abs. 2 EUV)<br />

wie auch bei den Regularien zur �Flexibilität in der<br />

ersten (Art. 11 EGV) und dritten Säule (Art. 40<br />

EUV). Neu ist, dass ein Veto bei einer qualifizierten<br />

Mehrheitsabstimmung möglich wird. Wenn wichtige<br />

nationale Gründe ein Mitgliedsland dazu veranlassen,<br />

eine mit Mehrheit zu treffende Entscheidung<br />

abzulehnen, dann erfolgt überhaupt keine Abstimmung.<br />

2. Kritische Wertung: Der Kompromiss von Luxem-<br />

Luxemburg-Prozess<br />

burg war die Minimallösung in einer großen Krise<br />

der europäischen Einigung. Durch ihn erfuhr aber<br />

auch der Leitgedanke, der alle europäischen Föderationspläne<br />

der Nachkriegszeit bestimmt und die<br />

EWG so erfolgreich gemacht hatte, eine Niederlage.<br />

Der Integrationsprozess wurde schwerfälliger. Die<br />

neuen, dem Luxemburger Kompromiss ähnlichen<br />

Regelungen im Amsterdamer Vertrag wurden notwendig,<br />

um in den drei genannten Fällen überhaupt<br />

einen Einstieg in die Mehrheitsentscheidung zu erreichen.<br />

Durch die weitere Einführung von Mehrheitsentscheidungen<br />

– das letzte Mal durch den Nizza-Vertrag<br />

– und die im �Verfassungsvertrag 2004<br />

vorgesehenen Möglichkeiten zum vereinfachten<br />

Übergang zu Mehrheitsentscheidungen (�Passerelle)<br />

werden die Regelungen des Luxemburger Kompromisses<br />

immer weniger relevant. Die Staats- und<br />

Regierungschefs erhalten sie aber gewissermaßen<br />

„inderSchublade“weiterhinamLeben. M. P.<br />

Literatur:<br />

Berens, A.: Der Weg der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft<br />

zur Politik des leeren Stuhls und zum Luxemburger<br />

Kompromiss. Düsseldorf 2002<br />

Streinz, R.: Die Luxemburger Vereinbarung. München 1984<br />

Luxemburg-Prozess. Der sog. Luxemburg-Prozess<br />

zielt auf eine Weiterentwicklung und bessere<br />

Umsetzung einer europäischen Beschäftigungsstrategie,<br />

welche die Maßnahmen der Mitgliedstaaten<br />

der Europäischen Union koordiniert. Damit soll die<br />

Effizienz der Arbeitsmärkte erhöht und durch die<br />

Verbesserung von Beschäftigungsfähigkeit, Unternehmensgeist,<br />

Anpassungsfähigkeit der Unternehmen<br />

und ihrer Arbeitsnehmer sowie der gleichberechtigten<br />

Teilhabe von Frauen an der Erwerbstätigkeit<br />

ein beschäftigungspolitischer Aufschwung erreicht<br />

werden.<br />

1. Entstehen des Luxemburg-Prozesses. Eingeleitet<br />

wurde diese neue „europäische Beschäftigungsstrategie“<br />

durch die Sondertagung des Europäischen Rates<br />

über Beschäftigungsfragen in Luxemburg vom<br />

20./21. 11. 1997. Grundlage für diesen Prozess war<br />

die Unterzeichnung des �Vertrages von Amsterdam<br />

am 2. 10. 1997. In diesem Vertrag war der Europäischen<br />

Gemeinschaft eine neue Aufgabe und Zuständigkeit<br />

in Bezug auf Beschäftigung zugewiesen worden<br />

(Titel VIII, Artikel 125–130 EGV). Die Ratifizierung<br />

dieses Vertragstextes bedurfte eines gewissen<br />

Zeitraumes – der Vertrag trat am 1. 5. 1999 in<br />

Kraft. Angesichts der prekären Beschäftigungslage<br />

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