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Festung Europa

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Organe der EU<br />

polation vom nationalen auf das supranationale<br />

Recht missachtete aber die fehlende Staatsqualität<br />

und den völkerrechtlichen Ursprung der Staatenverbünde<br />

EG und EU. Das institutionelle Gefüge der EG<br />

beruht nicht auf der klassischen Gewaltenteilung,<br />

sondern auf einer Gewaltenbalance eigener Art, einer<br />

supranationalen Spielart der „checks and balances“.<br />

Die legislative Gewalt etwa liegt in den Händen<br />

von Parlament, Rat und Kommission, die exekutive<br />

Macht verteilt sich auf Rat und Kommission. Da die<br />

EG-Organe keine Staatsgewalt ausüben, erscheint es<br />

treffender, von einer „Funktionsteilung“ oder einem<br />

„Funktionenkonzert“ zu sprechen (vgl. v. Borries<br />

2002).<br />

Der Gerichtshof hat das Zusammenwirken der Organe<br />

bereits in einem Urteil von 1958 als „institutionellesGleichgewicht“bezeichnet(EuGH,Rs.9/56,Meroni<br />

I, Slg. 1958, 1/36 ff.) und dieses Prinzip horizontalerMachtbalanceinspäterenEntscheidungenbetätigt<br />

(EuGH, Rs. 138/79, Roquette Frères/Rat – Isoglucose,<br />

Slg. 1980, 3333 Rn. 33; Rs. C-21/94, Europäisches<br />

Parlament/Rat, Slg. 1995, I-1827 Rn. 17).<br />

In einem Urteil von 1990 (EuGH, Rs. C-70/88, Parlament/Rat<br />

– Tschernobyl, Slg. 1990, I-2041 Rn. 21<br />

ff.) betonte er, dass die Verträge ein institutionelles<br />

Gleichgewicht der Organe wollten, d. h. ein System<br />

der Zuständigkeitsverteilung, das jedem Organ seinen<br />

eigenen Auftrag innerhalb des institutionellen<br />

Gefüges der Gemeinschaft zuweise. Zur Wahrung<br />

dieses Gleichgewichts habe jedes Organ seine Befugnisse<br />

unter Beachtung der Rechte der anderen Organe<br />

auszuüben. Das Rechtsprinzip des Interorgan-<br />

Gleichgewichts legt jedem Organ vier interinstitutionelle<br />

Rechte und Pflichten auf (vgl. Geiger 2000):<br />

(1) es hat seine eigenen Kompetenzen auszuschöpfen,<br />

darf jedoch nicht deren Grenzen übertreten; (2)<br />

es ist gehalten, die Befugnisse der anderen Organe zu<br />

achten; (3) mit den übrigen Organen muss es loyal<br />

und redlich zusammenarbeiten (Organtreue), dazu<br />

falls nötig die wechselseitigen Informations- und<br />

Konsultationspflichten in interinstitutionellen Vereinbarungen<br />

festlegen; (4) eine Verletzung seiner<br />

Kompetenzen oder Mitwirkungsrechte darf es gerichtlich<br />

überprüfen lassen. Das Protokoll über die<br />

Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und<br />

der Verhältnismäßigkeit im Anhang zum Vertrag<br />

vonAmsterdam,dasdurchArt.311EGVBestandteil<br />

desPrimärrechtsist,erwähntinZiffer2ausdrücklich<br />

das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts.<br />

580<br />

Auch Art. I-19 Abs. 2 S. 2 VVE ermahnt die Organe<br />

zu loyaler Zusammenarbeit.<br />

Gibt es innerhalb der fünf Hauptorgane der EG eine<br />

Rangfolge, ein „Ranking“? Der Rechnungshof<br />

nimmt die schwächste Position ein, da er nur reaktiv-kontrollierend<br />

die Haushaltsführung der Gemeinschaften<br />

überwacht, ohne rechtsetzend oder politisch<br />

gestaltend tätig zu werden. Unter den drei politischen<br />

Organen, die an der Rechtsetzung beteiligt<br />

sind, – Parlament, Rat und Kommission – besitzt der<br />

Rat das größte Gewicht: er ist Sprachrohr der Mitgliedstaaten<br />

als der „Herren der Verträge“, Ko-<br />

Rechtsetzungsorgan (Art. 251 EGV) und Ko-Haushaltsbehörde<br />

(Art. 272 EGV), jeweils zusammen mit<br />

dem Parlament. Die Kommission rangierte aufgrund<br />

ihres legislativen Initiativmonopols seit Gründung<br />

der Gemeinschaften und der Union auf Platz zwei,<br />

doch dürfte das von Vertragsänderung zu Vertragsänderung<br />

gestärkte und zunehmend mit hochrangigen<br />

nationalen Politikern besetzte Parlament der<br />

Kommission diesen Rang zunehmend streitig machen;<br />

die Krise um die Ernennung der (zweiten) Barroso-Kommissionarsgilde<br />

im November 2004 (Art.<br />

214 Abs. 2 EGV) belegte deutlich das wachsende<br />

SelbstbewusstseindesParlaments.DemGerichtshof<br />

verbleibt trotz seiner mutigen, oft rechtsschöpferischen<br />

Jurisdiktion und seines unverzichtbaren Beitrags<br />

zum �acquis communautaire Rang vier, da er<br />

keinepolitischenInitiativenergreifen,Rechtsetzung<br />

allenfalls mittelbar anstoßen und seine – die Mitgliedstaaten<br />

und deren Gerichte zwar bindenden –<br />

Entscheidungen nur von sachverhaltlich begrenzten<br />

Einzelfällen aus (case law) fällen kann.<br />

Für die konstruktive Atmosphäre zwischen den nun<br />

erwachsenen Organen sprechen die �interinstitutionellen<br />

Vereinbarungen, eine Spezies von Rechtsakten,<br />

die der EG-Vertrag zwar nicht erwähnt, die im<br />

Interesse einer effektiven Funktionsteilung zwischen<br />

den Organen vom EuGH jedoch als zulässig<br />

anerkanntwerden(EuGH,Rs.34/86,Rat/Parlament,<br />

Slg. 1986, 2155 Rn. 50; Rs. 204/86, Griechenland/Rat,<br />

Slg. 1988, 5323 Rn. 16). Diese Vereinbarungen<br />

regeln z. B. die Transparenz der Haushaltsführung<br />

oder die Anwendung des �Subsidiaritätsprinzips<br />

(Art. 5 UAbs. 2 EGV) in der Rechtsetzungspraxis.<br />

Die Erklärung zu Art. 10 EGV im Anhang des<br />

Vertrags von Nizza bestätigt politisch die Zulässigkeit<br />

interinstitutioneller Vereinbarungen, wenn diese<br />

im Rahmen der Verpflichtung zur loyalen Zusam-

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