Heft 42 - IMIS - Universität Osnabrück
Heft 42 - IMIS - Universität Osnabrück
Heft 42 - IMIS - Universität Osnabrück
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Translokale Livelihoods in Südafrika<br />
Die für die Organisation der Livelihoods entscheidende Veränderung<br />
sind die neuen Handlungsoptionen, die sich durch den Wegfall der gesetzlichen<br />
Wanderungsbeschränkungen ergaben. Im Zuge des Transformationsprozesses<br />
änderte sich nicht die Notwendigkeit zu migrieren, wohl aber die<br />
Bedingungen, unter denen die Migrationen stattfinden können. Da es nun<br />
nicht mehr gesetzlich geregelt war, wer, warum, wie lange und wo leben<br />
darf oder muss, wandelten sich also vor allem die Zugangsbedingungen zu<br />
den an anderen Orten bestehenden Opportunitäten. Die gewonnene Wanderungsfreiheit<br />
wirkte sich vor allem dadurch aus, dass nun verstärkt auch Personengruppen,<br />
die zuvor kaum am Migrationsgeschehen teilgenommen haben,<br />
die räumliche Bewegung als Handlungsoption nutzen. So nahmen ab<br />
Mitte der 1990er Jahre zunehmend Frauen und auch Kinder am Migrationsgeschehen<br />
teil. 26 Hierdurch gewann die Land-Stadt-Migration aus Nomhala<br />
deutlich an Dynamik und Diversität.<br />
Die Veränderung der Migrationsdynamik ist insgesamt als Ausdruck<br />
eines Anpassungsprozesses der Livelihood-Systeme der Haushalte zu verstehen.<br />
Hierbei ist die zunehmende Bedeutung der sozialen Netzwerke für<br />
den Migrationsprozess nach dem Ende der Apartheid besonders zu beachten.<br />
Durch die Möglichkeit der ›freien Wahl‹ des Wohnortes hat sich nicht gleichzeitig<br />
das Migrationsrisiko verringert. Heute findet die Migration unter anderen<br />
und zum Teil nicht weniger großen Risiko- und Unsicherheitsbedingungen<br />
statt.<br />
Zur Zeit der Apartheid waren die ›legalen‹ Arbeitsmigranten in das<br />
formell organisierte System der Arbeitswanderung eingebunden. Der einzelne<br />
Migrant brauchte sich nach der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags im<br />
staatlichen recruitment office weder um den Transport noch um die Unterkunft<br />
im Zielgebiet zu kümmern; Lohnhöhe, Aufenthaltsdauer und Datum<br />
der Rückkehr waren bekannt. Somit gab es für ihn und die von ihm abhängigen<br />
ländlichen Haushaltsmitglieder gewissermaßen eine Planungssicherheit<br />
auf niedrigem Niveau. Im Vergleich dazu ist die Land-Stadt-Migration heute<br />
oft eine Reise ins Ungewisse. Sie bildet eine Entscheidung unter starken Risikobedingungen.<br />
Es sind nicht die Attraktivität des städtischen Lebens und<br />
die großen Opportunitäten des urbanen Arbeitsmarktes, die die meisten Migranten<br />
in die Stadt locken. Es ist vielmehr die im ländlichen Raum wahrgenommene<br />
Alternativlosigkeit, die die zumeist schlecht ausgebildeten Migranten<br />
in die Städte treibt, wo sie sich jedoch ebenfalls mit gravierenden<br />
26 In den Jahren 1998–2002 überstieg die Zahl der weiblichen Migranten aus dem Dorf<br />
erstmals die der männlichen. Die starke Zunahme des Frauenanteils am Migrationsgeschehen<br />
hat mittlerweile dazu geführt, dass der zur Apartheidzeit typische quantitative<br />
Überhang an Frauen in der ländlichen Wohnbevölkerung heute fast vollständig<br />
ausgeglichen ist.<br />
179