Heft 42 - IMIS - Universität Osnabrück
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Sedentarismus als Konstante der Migrationsforschung in Afrika<br />
Sedentarismus meint in der Regel die Tendenz, Menschen und ihre<br />
Identitäten an einzelnen Orten und innerhalb bestimmter Grenzen verortet<br />
zu denken, so dass mobile Menschen und Mobilität allgemein immer eine<br />
Abweichung vom gewöhnlichen Ruhestadium (der Sesshaftigkeit) bedeuten.<br />
Obwohl diese Abweichung grundsätzlich – wie bereits angedeutet – sowohl<br />
positiv als auch negativ aufgefasst werden kann, ist der Sedentarismus in erster<br />
Linie dadurch gekennzeichnet, dass diese Perspektive von einer (moralischen)<br />
Überlegenheit des Sesshaften gegenüber dem Mobilen ausgeht. 19 Wie<br />
Malkki in ihrer theoretischen Herleitung des diskursiven Umgangs mit<br />
Flüchtlingen aufzeigt, bildet die vorherrschende Idee des Nationalstaats den<br />
Kern des sedentaristischen Gedankengebäudes, wobei die nationale Ordnung<br />
für die ›normale‹ oder ›natürliche‹ Ordnung der Dinge steht. 20 Als Folge<br />
wird von einer direkten und ›natürlichen‹ Verbundenheit zwischen Menschen<br />
und ›ihrem‹ Raum ausgegangen. 21 Eine sehr häufig gebrauchte und<br />
überaus symbolträchtige Metapher in diesem Zusammenhang ist die der<br />
Verwurzelung. 22 So wie Pflanzen über die Wurzeln fest mit dem Boden verbunden<br />
sind und die lebensnotwendigen Nährstoffe darüber beziehen, verweist<br />
die Wurzelmetapher auf eine Vorstellung von Gesellschaft als Baum,<br />
der an einem bestimmten Ort verwurzelt ist. Und ebenso wie ein entwurzelter<br />
Baum abstirbt, weil er seine direkte Verbindung zur Erde verloren hat,<br />
wird ›Heimatlosigkeit und Entwurzelung‹ von Menschen häufig als direkter<br />
Weg in den moralischen und sozialen Verfall beschrieben. Weil nach dieser<br />
Vorstellung Identität und moralische Werte an einem bestimmten Ort entwickelt<br />
und vermittelt wurden, führe das Verlassen bzw. der Verlust dieses<br />
Ortes unweigerlich auch zum Verlust des eigenen Selbst. Eine Leitlinie des<br />
sedentaristischen Denkens ist somit die Konzeption von Orten als Quell und<br />
Hort authentischer Identität. Der Fokus der Betrachtung liegt hier auf Ortsverbundenheit<br />
als einem existenziellen menschlichen Bedürfnis.<br />
2.1 Sedentarismus in der Humanistic Geography<br />
In der Geographie spielt diese sedentaristische Grundhaltung vor allem in<br />
der Humanistic Geography der 1970er Jahre eine Rolle, die in Anlehnung an<br />
Heidegger und Merleau-Ponty die Bedeutsamkeit von Orten für das<br />
menschliche Leben betont. Die Verbindung zu bzw. die Verwurzelung an<br />
19 Malkki, National Geographic, S. 31.<br />
20 Ebd., S. 26.<br />
21 Zur Diskussion der Verbindung von natives und ihrem homeland siehe Arjun Appadurai,<br />
Putting Hierarchy in its Place, in: Cultural Anthropology, 3. 1988, S. 36–49,<br />
hier S. 27; und James Clifford, The Predicament of Culture: Twentieth-Century Ethnography,<br />
Literature, and Art, Cambridge 1988, S. 338.<br />
22 Gilles Deleuze/Félix Guattari, Rhizom, Berlin 1977 [1976]; Malkki, National Geographic,<br />
S. 27.<br />
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