Heft 42 - IMIS - Universität Osnabrück
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Translokale Livelihoods in Südafrika<br />
chend der Norm der Heimatbezogenheit stark auf das ländliche Umzi gerichtet;<br />
verfügbares Kapital wird vornehmlich dort und hauptsächlich in unproduktive<br />
assets investiert. Investitionen in der Stadt, die allzu deutlich auf<br />
eine permanente Ansiedlung abzielen, werden geradezu argwöhnisch beurteilt.<br />
Die beschriebenen Redistributionszwänge innerhalb der sozialen Netzwerke<br />
sind ein weiteres Akkumulations- und Investitionshindernis. Der<br />
›Zwang zum Mittelmaß‹ blockiert individuelle ökonomische Aufstiegsmöglichkeiten.<br />
Politisch-ökonomisch betrachtet ist davon auszugehen, dass sich die<br />
räumlichen Ungleichheiten durch das System der translokalen Existenzsicherung<br />
sogar verschärfen: Der Unterschied zwischen ländlichen und städtischen<br />
Lebenshaltungskosten ist ein wichtiger Grund für die translokale<br />
Haushaltsorganisation. Da die Lebenshaltungskosten auf dem Land im Vergleich<br />
wesentlich geringer sind, kann der ›komparative Kostenvorteil‹ über<br />
die translokale Organisation der Existenzsicherungssysteme genutzt werden,<br />
indem ein Teil der Haushaltsmitglieder auf dem Land bleibt. 44 Die Situation<br />
des südafrikanischen Arbeitsmarkts bedingt jedoch, dass die Einsparungen<br />
nicht primär den Haushalten zugutekommen. Viele Arbeitssuchende sind<br />
bereit, auch extrem niedrige Einkommen zu akzeptieren. So nähern sich die<br />
Löhne dem unteren Grenzwert an, der für die Arbeiter und ihre Angehörigen<br />
eben noch das Existenzminimum gewährleistet. Die mit der translokalen Organisation<br />
der Livelihood-Systeme realisierten Einsparungen wirken insofern<br />
wie eine informelle Subventionierung der Arbeitskosten. Das heißt, die Einsparungen<br />
durch die rural-urbanen Kostendifferentiale fließen zu einem Teil<br />
in den Mehrwert, der als Profit von Personen abgeschöpft wird, die kaum als<br />
previously disadvantaged gelten können. Auch so argumentiert, trägt das translokale<br />
System zu einer Verschärfung der Disparitäten bei. In dieser Hinsicht<br />
weist das System der translokalen Existenzsicherung trotz der tiefgreifenden<br />
politischen Umwälzungen in Südafrika durchaus Ähnlichkeiten zu dem von<br />
Wolpe 45 und anderen Autoren beschriebenen System der Arbeitswanderung<br />
auf. Das System basiert nicht mehr auf direkter staatlicher Einflussnahme<br />
und rassistischer Unterdrückung, aber es resultiert aus einem politischökonomischen<br />
Zusammenhang, innerhalb dessen sich die alten ökonomischen<br />
Ungleichheiten reproduzieren. Die translokale Existenzsicherung lässt<br />
sich als ein System rekonstruieren, über das die Rekrutierung von Arbeitskraft,<br />
die Wohnraumbeschaffung und wesentliche Aspekte der sozialen Absicherung<br />
in die informellen sozialen Netze verlagert werden. Auf der Akteursebene<br />
erscheinen die sozialen Beziehungen als tragende Pfeiler der Exis-<br />
44 Clemens Greiner, Zwischen Ziegenkraal und Township: Migrationsprozesse in<br />
Nordwestnamibia, Berlin 2008, S. 234.<br />
45 Wolpe, Capitalism and Cheap Labour Power in South Africa.<br />
201