Heft 42 - IMIS - Universität Osnabrück
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Martin Geiger und Malte Steinbrink<br />
weitgehend unberücksichtigt lässt und grundsätzlich die Entscheidungsfreiheit<br />
betont. Migrationsforscher, die ihre Studien auf diese Modelle stützten,<br />
sahen Migration in modernisierungstheoretischer Manier zumeist als logisches<br />
und transitives Phänomen des Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesses<br />
im Zuge einer ›nachholenden Entwicklung‹.<br />
Die stark von der Dependencia-Schule inspirierten, neo-marxistischen<br />
und strukturtheoretischen Ansätze zur Erklärung von Wanderungen in Entwicklungsländern<br />
kritisierten diese auf Entscheidungsfreiheit basierenden<br />
Modelle. Sie warfen den modernisierungstheoretischen Ansätzen vor, die<br />
strukturellen Migrationsursachen zu vernachlässigen und die Wanderungsprozesse<br />
außerhalb des historisch-materiellen Zusammenhangs weltwirtschaftlicher<br />
Realitäten zu betrachten. Stattdessen betonten sie die politischökonomischen<br />
Aspekte von Migrationsphänomenen und deren Verstrickung<br />
in ein historisch gewachsenes, von asymmetrischen Beziehungen geprägtes<br />
Netz von Abhängigkeiten (Dependenz). Autoren wie Harold Wolpe, Thomas<br />
McGee, Guy Standing sowie Robert Potter und Tim Unwin 52 stellten die<br />
Wanderungsbewegungen in Ländern des Südens in den Kontext postkolonialer<br />
Strukturen und kapitalistischer Transformationsprozesse in peripherkapitalistischen<br />
Staaten. 53 Diese system- oder strukturorientierten Ansätze<br />
52 Vgl. Harold Wolpe, Capitalism and Cheap Labour Power in South Africa, in: Economic<br />
and Society, 1. 1972, S. <strong>42</strong>5–456, http://www.nu.ac.za/ccs/files/Wolpe%20<br />
Economy%2&%20Society%201972.pdf (12.12.2011); Thomas McGee, Labour Mobility<br />
in Fragmented Labour Markets, the Role of Circulatory Migration in Rural-Urban<br />
Relations in Asia, in: Helen I. Safa (Hg.), Towards a Political Economy of Urbanization<br />
in Third World Countries, Oxford 1982, S. 57–83; Guy Standing (Hg.), Labour<br />
Circulation and the Labour Process, London 1985; Robert B. Potter/Tim Unwin, Urban-Rural<br />
Interaction: Physical Form and Political Process in the Third World, in:<br />
Cities, 12. 1995, S. 67–74.<br />
53 Die Konzepte des ›peripheren Kapitalismus‹ und der ›strukturellen Heterogenität‹<br />
basieren auf dem Zentrum-Peripherie-Modell von Raul Prebisch; vgl. Raul Prebisch,<br />
Commercial Policy in the Underdeveloped Countries, in: The American Economic<br />
Review, 49. 1958, S. 251–273. Sie kommen zu dem Befund, dass die Einbindung der<br />
Entwicklungsländer (Peripherie) in das globale Marktgeschehen zwangsläufig zu<br />
einer Abhängigkeit von den Industrienationen (Zentrum) und einer binnengesellschaftlichen<br />
strukturellen Heterogenität, sprich zu einer Koexistenz und strukturellen<br />
Verflechtung kapitalistischer und nicht-kapitalistischer Produktionsweisen bzw.<br />
Gesellschaftssektoren führe. Vgl. Dieter Senghaas, Imperialismus und strukturelle<br />
Gewalt. Analysen über abhängige Reproduktion, Frankfurt a.M. 1972; ders., Peripherer<br />
Kapitalismus. Analysen über Abhängigkeit und Unterentwicklung, Frankfurt<br />
a.M. 1974; Tilman Evers/Peter v. Wogau, Dependencia: Lateinamerikanische Beiträge<br />
zur Theorie der Unterentwicklung, in: Das Argument, 79. 1973, S. 404–454. Entsprechend<br />
dieser Sichtweise manifestieren sich im Migrationsgeschehen einerseits<br />
die Abhängigkeiten, andererseits sind die Wanderungen eine Voraussetzung für die<br />
Verflechtung der Produktionsweisen. In den 1980er Jahren waren es vor allem die<br />
Bielefelder Entwicklungssoziologen, die mit ihrem Verflechtungsansatz die Geographische<br />
Entwicklungsforschung beeinflussten. Vgl. u.a. Jürgen Blenck u.a., Geogra-<br />
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