Heft 42 - IMIS - Universität Osnabrück
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Julia Verne und Martin Doevenspeck<br />
ziehung gesetzt, um zu zeigen, wie Migration in Afrika bis heute möglichst<br />
verhindert, zumindest kontrolliert und reduziert werden soll und in der Regel<br />
als eine Störung bzw. Ausdruck eines Problems (z.B. Umweltdegradation)<br />
verstanden wird. Seit den von Ernest Georg Ravenstein im späten 19.<br />
Jahrhundert aufgestellten ›Migrationsgesetzen‹ hält sich bei vielen Ökonomen,<br />
Demographen und Geographen die Vorstellung, Bevölkerungsbewegungen<br />
tendierten prinzipiell zu einem räumlich-ökonomischen Gleichgewicht:<br />
von dicht zu dünn besiedelten Räumen und von Gebieten mit geringen<br />
Einkommen zu solchen mit höheren. 54 In den einflussreichen makround<br />
mikroökonomischen Ansätzen der neoklassischen Theorietradition<br />
werden z.B. Unterschiede zwischen den Arbeitsmärkten in Herkunfts- und<br />
Zielregionen als Hauptursache von Migration angenommen. Todaro 55 berücksichtigt<br />
zwar in seinem bekannten Modell nicht nur die eigentlichen<br />
Lohndifferenziale, sondern geht davon aus, dass die Entscheidung zur Abwanderung<br />
von der individuellen Kalkulation der Kosten und Nutzen einer<br />
Migration bzw. Nicht-Migration abhängt. Doch Migrationsbewegungen bleiben<br />
demnach letztlich die Summe individueller Kosten-Nutzen-Rechnungen<br />
und dürften, wie in neoklassischen Makroansätzen auch, nur dann auftreten,<br />
wenn räumliche Unterschiede im Lohnniveau und bei Beschäftigungsraten<br />
festzustellen sind. Nach der vielfältigen Kritik an neoklassischen Zugängen 56<br />
wurde in der Neuen Migrationsökonomie, die empirisch auf Untersuchungen<br />
von Urbanisierungsprozessen in Entwicklungsländern basiert, ein Ansatz<br />
entwickelt, bei dem Lohnunterschiede keine Bedingung mehr für Migration<br />
sein müssen. 57 In einer funktionalistischen Perspektive wird Mobilität<br />
im subsaharischen Afrika jedoch meist weiterhin in diese Theorietradition<br />
eingebettet und als kollektiver Entscheidungsfindungsprozess interpretiert.<br />
Wanderungen von Einzelpersonen werden demnach als Strategie von Haushalten<br />
oder größeren Gruppen verstanden, das Einkommen zu diversifizieren.<br />
Nicht mehr das Individuum steht also im Mittelpunkt, sondern das<br />
Wanderungsverhalten größerer Produktions- und Konsumtionseinheiten. 58<br />
54 Stephen Castles/Mark J. Miller, The Age of Migration, Hampshire 2003, S. 22.<br />
55 Michal P. Todaro, Internal Migration in Developing Countries. A Survey, in: Richard<br />
A. Easterlin (Hg.), Population and Economic Change in Developing Countries, London<br />
1980, S. 361–402.<br />
56 Douglas Massey u.a., Theories of International Migration: A Review and Appraisal,<br />
in: Population and Development Review, 3. 1993, S. 431–466.<br />
57 Oded Stark/David E. Bloom, The New Economics of Labour Migration, in: The<br />
American Economic Review, 75. 1985, S. 173–178; Oded Stark, The Migration of Labour,<br />
Oxford 1991.<br />
58 Sally E. Findley, Migration and Family Interactions in Africa, in: Aderanti Adepoju<br />
(Hg.), Family, Population and Development in Africa, London 1997, S. 109–138; Arjan<br />
de Haan u.a., Migration, Livelihoods and Institutions: Contrasting Patterns of<br />
Migration in Mali, in: The Journal of Development Studies, 5. 2001, S. 37–58; Oliver<br />
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