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Heft 42 - IMIS - Universität Osnabrück

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Malte Steinbrink<br />

›Norm der aktiven Heimatbezogenheit‹ lassen sich in Auseinandersetzung<br />

mit dem Phänomen des itshipa nachweisen. Der Begriff ›itshipa‹ ist ein zentraler<br />

Topos im populären Abakhaya-Diskurs. Als Itshipa (pl. amatshipa) 38<br />

wird ein Migrant bezeichnet, der über eine längere Zeitspanne hinweg nicht<br />

in seiner ›Heimat‹ war. Die Konnotationen des Begriffs sind jedoch wesentlich<br />

weitreichender. Aus zahlreichen Interviewpassagen konnte der semantische<br />

Hof des Itshipa-Begriffs extrahiert werden. Ein Itshipa ist demnach undiszipliniert,<br />

ziellos, kulturell entwurzelt, hedonistisch, unzuverlässig, faul,<br />

verschwenderisch und egoistisch.<br />

Aus diesen negativen Konnotationen lassen sich die zentralen Elemente<br />

des Abakhaya-Ethos rekonstruktiv ableiten, indem man das gegensätzliche<br />

Verhalten als das sozial erwünschte, normgerechte Verhalten annimmt. Der<br />

Itshipa verkörpert quasi den Negativ-Typus oder das ›unmoralische‹ Gegenstück<br />

zum ›guten‹ heimatverbundenen Abakhaya-Mitglied.<br />

Auch hier zeigt sich, dass der Kontakt zur Herkunftsregion weit mehr<br />

bedeutet als lediglich die soziale Interaktion zwischen Personen an unterschiedlichen<br />

Orten. Er repräsentiert gleichzeitig ein Bekenntnis zu den ›wahren‹<br />

Werten und zur Gruppe. Dem Itshipa wird von den Abakhaya mangelnde<br />

Heimatverbundenheit vorgeworfen, weshalb ihm gleichzeitig auch<br />

der Verlust der ›Tradition‹ und der ›Xhosa-Kultur‹ nachgesagt wird. Der<br />

Heimatbezug wird als grundlegend angesehen und in gewisser Weise als die<br />

Prämisse für moralisches Handeln an sich. Vor diesem Hintergrund handelt<br />

jemand, der keinen Kontakt zu seinen ländlichen Angehörigen hält, so fundamental<br />

unmoralisch, dass er sein Recht verspielt, Teil der Gruppe zu sein.<br />

Der soziale Druck, sich entsprechend der ›Norm der aktiven Heimatverbundenheit‹<br />

zu verhalten, ist also immens. Normwidriges Verhalten bedeutete<br />

auch in diesem Zusammenhang einen Verlust von Reputation und sozialem<br />

Kapital, den sich kaum ein Migrant aus Nomhala in Site 5 leisten kann.<br />

Der soziale Druck entsteht jedoch nicht nur durch die latente Bedrohung,<br />

aus dem Gruppenzusammenhang ausgeschlossen zu werden. Die<br />

Gruppe übt auch direkten Druck aus. Die Rückreise eines Itshipa wird mittels<br />

sukzessiv gesteigerten Drucks erzwungen – in Einzelfällen sogar mit<br />

physischer Gewalt. Die Ausübung des Zwanges wird zumeist moralisch be-<br />

38 Eine wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist nicht möglich; frei übersetzt bedeutet<br />

itshipa etwa: ›Der sein Zuhause vergessen hat‹. Der Begriff ist kein originärer<br />

isiXhosa-Begriff. Mayer/Mayer, Townsmen or Tribesmen, weisen auf die Möglichkeit<br />

der Adaption des englischen Begriffs cheap (›billig‹) hin, ohne dies jedoch zu begründen.<br />

Die erweiterten, negativen Konnotationen von cheap im Sinne von ›geizig‹,<br />

›wertlos‹ oder ›minderwertig‹ könnten – wie im Folgenden gezeigt wird – tatsächlich<br />

einen Anhaltspunkt für die sprachliche Inkorporation liefern. Die Interviewpartner<br />

selbst konnten keine Hinweise auf die sprachlichen Wurzeln des Begriffs<br />

geben.<br />

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