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St.gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 2006

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Zivilrecht GVP <strong>2006</strong> Nr. 65<br />

65<br />

Art. 273 Abs. 1 ZGB (SR 210); Art. 295ff. ZPO (sGS 961.2). Der Umstand,<br />

dass ein vierjähriges Kind sich beim ersten Besuchstermin hartnäckig weigerte,<br />

mit dem besuchsberechtigten Elternteil wegzugehen, genügt nicht<br />

für den Verzicht auf einen Vollzug mit angemessenen Mitteln.<br />

Kantonsgericht <strong>St</strong>.Gallen, Einzelrichter im Familienrecht, 10. August <strong>2006</strong><br />

Die Parteien sind Eltern einer vierjährigen Tochter. Sie führten eine konflikthafte,<br />

auch von häuslicher Gewalt geprägte Ehe. Bei der Scheidung einigten sie sich<br />

darauf, dass das Kind in die elterliche Sorge des Vaters gestellt werde <strong>und</strong> mit der<br />

wieder in ihre südamerikanische Heimat zurückgekehrten Mutter jährlich fünf<br />

Wochen Ferien in der Schweiz verbringen könne. Beim ersten Besuchstermin weigerte<br />

sich das Kind aber, mit der Mutter wegzugehen, worauf es zu einer Auseinandersetzung<br />

zwischen den Eltern kam. Weil der Vater danach das Kind nicht mehr<br />

herausgeben wollte, verlangte die Mutter den Vollzug des Besuchsrechts. Der<br />

Kreisgerichtspräsident befahl dem Vater, die Tochter der Mutter zur Ausübung des<br />

Ferienrechts zu übergeben, <strong>und</strong> drohte ihm eine Ungehorsamsstrafe an. Dagegen<br />

erklärt der Vater Rekurs mit dem Antrag, die Vollstreckungsverfügung aufzuheben.<br />

Aus den Erwägungen:<br />

Es geht beim Umgang mit einem Kind nicht einfach darum, den Rechtsanspruch<br />

eines Elternteils durchzusetzen, sondern soweit möglich darum, ihm zu helfen, eine<br />

sinnvolle Beziehung aufzubauen. Das ist mit den ordentlichen Vollstreckungsmitteln<br />

nur schwer zu verwirklichen. Trotzdem kann sich die Rechtsordnung dieser Aufgabe<br />

nicht entziehen (C. Hegnauer, Berner Kommentar, N 103 zu Art. 275 ZGB). Der Vollzug<br />

richtet sich nach kantonalem Verfahrensrecht. Er kann aber nur darin bestehen,<br />

dass der Inhaber der elterlichen Sorge zu einem bestimmten Handeln, nämlich zur<br />

Übergabe des Kindes angewiesen wird. Direkter Zwang, der auch das Kind erfassen<br />

würde, ist in der Regel ausgeschlossen (BGE 118 II 392; 111 II 403, 409).<br />

Der Vollstreckungsrichter ist an das Scheidungsurteil geb<strong>und</strong>en. Er darf sich nicht<br />

anmassen, die Interessen der Beteiligten von Gr<strong>und</strong> auf neu abzuwägen. Vielmehr<br />

liegt es gr<strong>und</strong>sätzlich im richtig verstandenen Wohl des Kindes, dass die Eltern sich<br />

an feste Besuchsregeln halten (BGE 111 II 313). Der Inhaber der elterlichen Sorge<br />

kann also nicht mehr vorbringen, der Sachentscheid sei unangemessen gewesen.<br />

Zulässig ist nur der Einwand, es seien neue Tatsachen eingetreten, die einem Vollzug<br />

entgegenstehen (Art. 302 Abs. 1 lit. b ZPO). Ein Elternteil kann namentlich geltend<br />

machen, der persönliche Kontakt bedeute für das Kind ein ernsthaftes ges<strong>und</strong>heitliches<br />

Risiko (C. Hegnauer, Berner Kommentar, N 168 zu Art. 275 ZGB). Selbst<br />

dann darf der Vollzug allerdings nur für die kurze Zeit verweigert werden, die nötig<br />

ist, um ein Abänderungsbegehren zu stellen (BGE 107 II 301, 305).<br />

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